Mittwoch, 24. Oktober 2012

Nicht nur Iran ein Gottesstaat Teil 1

Was hört man nicht alles in den Medien über den Iran. Insbesondere US-amerikanischen Medien lassen sich sehr gerne (FOX-News als regelrechter Hetzsender mit Traum-Einschaltquoten) über die Religion des Irans aus. Mullahkratie, Theokratie, Gottesstaat - um nur einige der gängigen Bezeichnungen zu benennen. Und ja, das Land enspricht auch der Definition einer Theokratie. Bezweckt wird damit aber eine negative Implikation um in den Menschen das Gefühl zu erwecken, dass der Iran von religiösen Fanatikern geführt wird, die alles nur erdenkliche tun um irgendeine Phrophezeiung zu erfüllen. Allgemein wird damit die Rückkehr des Mahdi gemeint, des letzten Imams aus der Linie der rechtsgeleiteten Imame (oder anerkannten Nachfolger des Propheten Muhammad) der von der Erde entschwand um als Erlöser zurückzukehren. Der Mahdi wird auch sehr gerne als rein schiitisches Phänomen bezeichnet, der im Iran vorherrschenden Glaubensrichtung des Islams. Das stimmt aber so überhaupt nicht. Auch im Sunnitischen Glauben erwartet man die dieselbe Rückkehr, nur nimmt dieser Akt keine so grosse Rolle in der Glaubenslehre ein wie bei den Schiiten.

Was genau ist aber daran so schlimm wenn Menschen an einen Erlöser oder Messias glauben, der ihnen im Glauben daran die Kraft gibt, das Leid und harte Leben besser ertragen zu können? Viele von diesen Leuten die mit dem Finger auf die Rückkehr des Mahdi zeigen und es als Beweis für finstere Absichten werten, vergessen dabei gänzlich dass in ihren eigenen Glaubenslehren, ganz egal ob es sich dabei um das Christentum oder Judentum handelt, genau die selbe Erwartungshaltung an die Rückkehr eines Erlösers vorherrscht. Nur heisst er nicht Mahdi, sondern eben Jesus Christus oder Goel (im Judentum). Der Sinn und Zweck dieses Erlösers ist aber allen Weltreligionen gleich: er kündigt ein neues Zeitalter frei von jeglicher Sünde auf der uns bekannten Welt an.

Warum wird dann aber nur der Iran als Gottesstaat bezeichnet und andere Länder nicht? Nur weil es in der iranischen Verfassung einen Artikel gibt, der explizit auf den Mahdi hinweist? Artikel 5 der Verfassung besagt:
"In der Islamischen Republik Iran steht während der Abwesenheit des verborgenen 12. Imams - möge Gott sein Erscheinen beschleunigen - das Imamat und die Führungsbefugnis [wilayat-e-amr] in den Angelegenheiten der islamischen Gemeinschaft dem gerechten, gottesehrfürchtigen, über die Erfordernisse der Zeit informierten, tapferen, zur Führung befähigten Rechtsgelehrten zu, der die Verantwortungen dieses Amtes gemäß Artikel 107 übernimmt."

Es steht aber nirgendwo geschrieben dass es eine Person gibt, die auf göttlicher Anweisung daran hinarbeitet, jene Situation und Umgebung zu schaffen, die die Rückkehr des Erlösers beschleunigen soll. Denn das ist genau der Punkt den die USA und Israel als Vorwand benutzen, um das angebliche Streben nach einer iranischen Atombombe zu erklären. Um es noch deutlicher zu erklären: Washington und Tel Aviv beschuldigen Teheran an einer Atombombe zu basteln, mit welcher das Land dann Israel angreifen würde, wohlwissend dass es damit die eigene Vernichtung durch das hundertmal grössere Nuklearwaffenarsenal der Amerikaner und Israelis nach sich ziehen würde, NUR um die Wiederkehr des Mahdi feiern zu können?

Das klingt nun alles andere als eine realistisch begründete Annahme.
Dennoch ist es wichtig zu erklären wie so eine Formulierung, wie sie nun mal in Artikel 5 der iranischen Verfassung zu finden ist, überhaupt den Weg dorthin gefunden hat. Nur so kann man ein Verständnis für die Probleme im Umgang des Westens mit dem Iran erhalten, aber auch die heuchlerische Art und Weise insbesondere der USA und Israels in diesem Punkt erkennen. Denn obwohl diese beiden Staaten, aber auch die Königreiche und Scheichtümer des Persischen Golfes, offiziell keine Theokratien darstellen, sind sie es im Grunde im Laufe der Zeit geworden bzw. waren es von Anfang an.

Der Weg zu Artikel 5 der Verfassung der Islamischen Republik Iran

Die heutige Staatsreligion im Iran, Schiismus oder Shia, wurde bereits 1501 durch den noch heute sehr populären Shah Ismail I. zur Staatsreligion erklärt. Diesen Schritt brauchte er um seiner neuen Dynastie, den Safaviden, eine göttliche Legitimation zu verleihen.
Seit jener Zeit gab es stets ein einigermassen erfolgreiches Zusammenspiel zwischen Thron und dem Klerus, wobei die obersten Gelehrten Zugang zum Staatsapparat erhielten. Dieses Zwischenspiel funktionierte bis zur Konstitutionellen Revolution von 1906, als die bankrotte Monarchie der Qajaren dem Druck der Strasse nachgab und einem Parlament sowie einer Verfassung zustimmte. Die absolute Monarchie wich einer konstitutionellen.

Der Klerus sah sich in dieser Zeit des Umbruchs gezwungen, die Position eines Zuschauers einzunehmen. Auf solche Ereignisse waren die Würdenträger nicht vorbereitet und es mangelte ihnen an einer Führungsfigur die etwas hätte bewirken können.
Mit der Oktoberrevolution in Russland 1917 änderten sich die Verhältnisse auch im Iran in schneller Abfolge. Die auf Anfrage von Nasir ad-Din Shah, dem iranischen König, von Russland zur Verfügung gestellte Eliteeinheit erhielt den Namen "Kosakenbrigade" und sollte dem Königshaus treu ergeben sein.
Die Kosakenbrigade wurde inzwischen von einem kaltblütigen, aber sehr effizienten iranischen Offizier geleitet: Reza Khan. Die Engländer sahen in der Oktoberrevolution ihre Chance gekommen, endlich grösseren Einfluss auf den Iran zu nehmen und übernahmen in der Folge die Finanzierung der Kosakenbrigade, sowie natürlich deren Kommando.
Reza Khan, aus ärmsten Verhältnissen stammend, entwickelte grössere Ambitionen für sein Land. Angespornt durch den englischen General Ironside, marschierte Reza Khan mit seiner Kosakenbrigade am 21. Februar 1921 nach Teheran und besetzte die Stadt, was einer de-facto Übernahme des Landes gleich kam. Er liess sich von der Regierung zum Verteidigungsminister ernennen. Doch aufgrund der Tatsache das die einzig verbliebene Streitmacht im Land, die Kosakenbrigade, nur ihm gegenüber zur Loyalität verpflichtet blieb, machte aus Reza Khan den wahren Herrscher. Was fehlte war eine offizielle Legitimierung dieser Herrschaft. Reza`s Idol in dieser Hinsicht war sein türkischer Nachbar, Mustafa Kemal Atatürk, der eine laizistische Republik gründete und den Islam aus dem türkischen Alltag verbann. Aber ihm war klar dass das im Iran so nicht umzusetzen wäre. Dadurch dass im Iran die schiitische Glaubenslehre vorherrschte, wurde der iranisch-schiitische Klerus nicht im selben Masse von der Absetzung des Kalifats durch Atatürk getroffen wie in den sunnitischen Gebieten. Stattdessen suchte Reza im Geheimen Vertreter der Ulema auf, um ihnen seine Pläne zu offenbaren. Reza verlangte von den Geistlichen, ihn zum Shah zu krönen. Aber die schiitische Ulema liess sich nicht auf seinen Plan ein, da sie befürchteten das gleiche Schicksal zu erleiden wie die Glaubensbrüder in der Türkei.
Das alles hinderte Reza Khan aber nicht, seine Pläne auch tatsächlich in die Realität umzusetzen. Am 25.04.1926 krönte er sich schliesslich selbst zum König.

 
 

Für die schiitische Ulema kam es wie sie es befürchtet haben. Der neue Shah, nun offizieller Herrscher des Irans, sah keinen Grund die Geistlichen um sich zu scharen nachdem sie ihm zuvor die Gefolgschaft verweigert haben. Mit ähnlich rigorosen Methoden wie Atatürk in der Türkei versuchte Reza Shah, die ländliche Bevölkerung mit Macht in das 20. Jahrhundert zu befördern. Er verbot unter anderem das Tragen von traditioneller Kleidung und Kopfbedeckung in den Städten und verbann den Klerus ins politische Abseits. Finanziell blieb er auch weiter von den Briten abhängig, nun aber in Form des Erdöls. Die gesamte Ölwirtschaft lag in den Händen des britischen Unternehmens Anglo-Persian Oil Company, ab 1935 dann Anglo-Iranian Oil Company (AIOC). Seine Affinität zu Deutschland brachte 1941 den Shah aber zu Fall, als Russland von Norden und Grossbritannien von Süden über die Meerseite in den Iran einmarschierten. Die beiden Rivalen des "Great Game" teilten sich das Land wieder in "Einflusssphären" auf, diesesmal aber mit handfesten wirtschaftlichen und kriegspolitischen Hintergedanken. Über den Iran erhielt die Sovietunion militärische Lieferungen aller Art, hauptsächlich aus den USA, um den Krieg gegen Nazi-Deutschland nicht zu verlieren. Aber auch die Spekulation um das Öl spielte dabei eine wesentliche Rolle um die Kriegsmaschinerie der englischen Krone und auch Moskaus überhaupt finanzieren zu können.



Nachdem Reza Shah von den Soviets und Briten gestürzt wurde, setzten sie seinen erst 22-jährigen Sohn Mohammad Reza auf den Thron, nachdem ihm klargemacht wem er diesen plötzlichen Aufstieg zu verdanken hatte.
Kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges versuchte der neue Shah die von seinem Vater unterdrückte Ulama ein bisschen zu umwerben, indem er beispielsweise den im Volk verhassten Verbot des Tragens des Tschadors (iranische Form der Frauenverhüllung) aufhob. Doch bereits nach kurzer Zeit liess er diese Lockerung von islamischen Traditionen wieder aufheben und aktivierte wieder das Gesetz seines Vaters. Damit zog er sich den Zorn der Bevölkerung und des Klerus auf sich, die sich eine bessere Herrschaft erhofft hatten. Mohammad Reza Shah dachte aber gar nicht daran, ein ausgewogeneres Verhältnis zur Ulema zu suchen wie einst seine Vorgänger. Im Gegenteil, er unternahm alles um diese Beziehung zwischen Thron und Moschee zu untergraben. Er schuf 1957 einen Inlandgeheimdienst, den SAVAK, um jegliche Opposition zu seinem immer brutaleren Regime zu unterdrücken. Die tödliche Effizienz erreichte der SAVAK unter Anleitung des amerikanischen Geheimdienstes CIA sowie des israelischen Mossad. Im Volk waren diese Tatsachen wohl bekannt und schürten somit den Hass auf den Despoten, den sie als Marionette der USA (die USA übernahmen nach dem 2. Weltkrieg, und insbesondere nach dem berüchtigten CIA-Coup von 1953 die zur Absetzung des demokratisch gewählten Ministerpäsidenten Mossadegh führten, die Rolle der Briten) beschimpften. Auch die relativ enge Beziehung des Shah`s zu Israel war den meisten Iranern ein grosser Dorn im Auge aufgrund der Unterdrückung der Palästinenser.

Insbesondere ein Mann aus den Reihen der Ulama entpuppte sich als schärfster und lautester Gegner von Mohammad Reza Shah. Es handelte sich dabei um Ruhollah Chomeini, der die Abhängigkeit des Irans von den USA anprangerte sowie die unislamischen Tate des Monarchen hervorhob. Seiner Stimme lauschten tausende von begeisterten Anhängern am einzigen Ort des Landes wo der SAVAK nicht vordringen konnte: in der Moschee.
Aufgrund dessen dass den Menschen gar keine andere Wahl blieb als sich nur in der Moschee untereinander auszutauschen und offen über die Schreckensherrschaft sprechen konnten, war der sich bildende Islamismus im Iran eine nur allzu logische Konsequenz. Die Generation die in der Atmosphäre von freier (westlicher) Kleidungswahl aufwuchs, kehrte wieder zurück zu den elterlichen Wurzeln und besinnte sich den islamischen Traditionen. Auch der unaufhaltsame Aufstieg des Ruhollah Chomeini zur Stimme des Volkes war deshalb ebenfalls alles andere als zufällig. Der Shah seinerseits unternahm alles um die Massen hinter den finster dreinblickenden Kleriker zu scharen. Immer mehr Menschen wurden vom SAVAK entführt, gefoltert und ermordet. Selbst vor dem Einsatz der Armee gegen die eigene Bevölkerung schreckte der Shah nicht zurück, als er 1978 ein Massaker in Teheran anordnet das als "Schwarzer Freitag" in die Geschichte einging.



Damit verspielte Mohammad Reza Shah jegliche Legitimität und Respekt vor dem Volk. Am 01. Februar 1979 kehrte Chomeini aus dem Exil in Frankreich nach Teheran zurück, nachdem ihn der Shah zuvor nicht mundtot bekam und stattdessen ins Exil schickte. Doch Chomeini hatte noch etwas anderes im Handgepäck mit. Etwas, was die schiitische Betrachtungsweise der politischen Herrschaft im wahrsten Sinne des Wortes revolutionieren würde. Seit der Einführung des Schiismus als Staatsreligion 1501 durch Shah Ismail I. war der Klerus immer in der Nähe der Macht vertreten, nie aber direkt an der Macht. Chomeini entwickelte diesbezüglich ein eigenes Konzept, das "Vilayat i- Faqih - Statthalterschaft der Rechtsgelehrten".

Dieses neue System besagte, dass der politische Anspruch auf einen Staat bei Mahdi lag, aber solange dieser im Verborgenen blieb, müsse die politische Autorität bei einem vertrauenswürdigen Wächter der Mahdi Tradition liegen. Das bedeutete aber nicht dass das gesamte schiitische Establishment Anspruch auf diese Position gehabt hätte, nein, es konnte nur Einer der Auserwählte sein. Nachdem Chomeini derjenige war der dieses Konzept ins Leben gerufen hatte, konnte es in dieser Logik auch niemand anderes als er sein der diese Position, diese Statthalterschaft der Rechtsgelehrten, einnehmen könnte.

An dieser Stelle muss aber unbedingt der Unterschied zwischen dem schiitischen und sunnitischen Klerus kurz erklärt werden. In der sunnitischen Lehre gibt es keine Hyrarchie wie beispielsweise im Katholiszismus mit dem Papst an der Spitze. Es gab seit dem Tod des Propheten die Kalifen, die die Statthalterschaft auf Erden, also sozusagen als Vertreter Gottes auf Erden, die sunnitischen Gläubigen vertraten und repräsentierten.
Bei der schiitischen Lehre gab es in diesem Sinne auch nie einen Papst, aber es gab Gross-Ayatollahs die diesem Zwecke ziemlich nahe kamen. Sie waren diejenigen, die sich durch Studien und Publikationen die grösste Anhängerschaft und somit grössten Respekt auf Gebieten der islamischen Rechtssprechung und Interpretation des Korans erarbeitet haben. Auch das ist ein rein schiitischen Phänomen. Während die Heilige Schrift im Koran für die Sunniten als unantastbar gilt, also auch keine der Zeit angepasste Interpretation zulässt, ist das bei den Schiiten eben anders und wird sogar durch das klerikale System gefördert. Das ist unter anderem ein Grund weshalb die Schiiten von den Sunniten als Häretiker bezeichnet werden.

Um die Antwort auf die Frage nach dem Artikel 5 der Islamischen Republik Iran in kurzen und einfachen Worten nochmal wiederzugeben: die vom Westen und insbesondere von den USA unterstützte Monarchie, oder Diktatur der Pahlavis, unterdrückte von Anfang an die schiitische Ulama welche aber tief in der iranischen Bevölkerung und Tradition verankert war. Was von den Pahlavis nicht bedacht wurde, war dass diese Mullahs aber das Bindeglied der Bevölkerung darstellten die im Grunde genommen die Nation zusammen hielt. Und in dem sie versuchten die islamischen Traditionen zu unterdrücken, zogen sie die Missgunst nicht nur des Klerus auf sich, sondern eben auch der Bevölkerung. Ein weiterer wesentlichen Punkt war die immer brutalere Schreckensherrschaft des Mohammad Reza Shah Pahlavi, der nicht einmal vor zahlreichen Massaker am eigenen Volk zurückschreckte. Und das alles mit offizieller Duldung und Unterstützung der Amerikaner. Nichts unterstrich diese Anname mehr als der Besuch des US-Präsidenten Jimmy Carter über Silvester 1977/1978, nachdem es im Iran zu tödlichen Ausschreitungen gegen den Shah gab und Jimmy Carter aber nichts besseres dazu sagen konnte, als bei einem Neujahrstoast: "Iran, unter der grossartigen Führung des Shahs, ist eine Insel der Stabilität in einer von den unruhigeren Regionen der Welt."



Das bestätigte den Iranern das allgemein vorherrschende Bild, dass die USA die Diktatur des Shahs bedingungslos unterstützten.
Auch Israel spielte in dem Aufstand gegen den Shah eine nicht zu unterschätzende Rolle. Die Iraner fühlten mit den Palästinensern ernsthaft mit und konnten es ihrer Regierung nicht verzeihen so enge Kontakte zu den "Zionisten" zu pflegen. Das alles führte dazu das es eine islamische Revolution wurde, und nicht eine kommunistische, sozialistische oder gar demokratische Revolution. Und unter diesen Aspekten ist es nicht mehr so schwer nachvollziehbar, wie dieser Artikel 5 in die Verfassung kam.




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