Freitag, 5. Juli 2013

Der Putsch in Ägypten und seine Folgen

Das ägyptische Militär hat sein Ultimatum in die Tat umgesetzt und den gewählten Präsidenten Mohammed Mursi gestürzt. Dieser Militärputsch, auch wenn es in amerikanischen Medien beispielsweise so nicht gerne genannt wird, beendete jegliche Spekulation seit dem Amtsantritt von Mursi im vergangenen Jahr über die Macht des Militärs. Viele Analysten liessen sich von den Wahlen beirren und meinten, dass Mursi nun das Militär von der alten Garde säubern werde um es seiner Regierung gefügig zu machen. Manche Kommentatoren gingen sogar soweit und nannten den ägyptischen Präsidenten den "Neuen Pharao".
Dass das Militär einem demokratisch gewählten Präsidenten ein Ultimatum stellen kann, ist schon an sich ein klares Signal wie die Machtverhältnisse tatsächlich standen. Das aber Mursi nach Ablauf dieses Ultimatums auch tatsächlich ohne Weiteres verhaftet wurde, zeigte der ganzen Welt wer der Herr im Hause war und ist (und auch mittelfristig bleiben wird).

Was Millionen von Ägyptern auf die Strasse trieb ist vielleicht etwas vereinfacht gesagt das gleiche Problem wie 2011: die Grundversorgung des täglichen Lebens.
Mursi hat es nicht geschafft den wirtschaftlichen Niedergang zu stoppen, er hat es nicht geschafft dass es den Ägyptern tatsächlich besser geht als zu Zeiten von Hosni Mubarak. Das staatliche Informationszentrum ging auch offen und ohne es verschönern zu wollen mit dem Problem um, als es noch im Jahr 2011 schrieb, dass die Armut im Lande bei 70% liege oder ausländische Investitionen bei Null liegen. Ob die Zahlen tatsächlich korrekt dargestellt waren oder nicht, spielt im Grunde genommen gar keine Rolle. Fakt ist, dass es den Menschen schlecht ging und sie sich von Mursi mehr erhofft haben. Während aber die Regierung mit der Weltbank um ein Darlehen von 4.8 Milliarden USD kämpfte und bis heute keine Einigung stattfinden konnte, überwiesen die USA auch weiterhin jährlich die 1.5 Milliarden USD an Hilfsgeldern nach Kairo zu welchen sich Washington seit den Camp David Verträgen von 1979 verpflichtet haben. Mit diesen Zahlungen erkaufte sich Washington den Frieden zwischen Ägypten und Israel. Das einzige Problem dabei ist und war es auch seit 1979, dass diese Gelder nicht für die Wirtschaft und somit den Menschen zugute kommen, sondern für das Militär ausgegeben werden damit diese sich wiederum US-Waffensysteme leisten können. Der Durchschnittsbürger von Ägypten sah von diesen Milliarden von US-Dollars aber keinen Cent. Dass es nicht schon vorher zu solchen Szenen wie 2011 kam, liegt unter anderem daran, dass die Reformen die noch Gamal Abdel Nasser in den 1950er Jahren einführte und Anwar Sadat in den 1970er Jahren weiter ausbaute, tatsächlich Erfolge vorweisen konnten. Aber natürlich auch der brutale Sicherheitsapparat von Mubarak der jegliche Opposition oder möglichen Protest im Keim erdrückte. Erst mit modernen Kommunikationsmitteln wie Handy, Facebook und Twitter wagten es die Verantwortlichen der Massendemonstrationen von 2011, sich zu erheben.

Mit diesem Thread möchte ich aber auf die Auswirkungen dieses Militärputschs auf den Nahen Osten eingehen, ohne die Probleme und Herausforderung Ägyptens dadurch schmälern zu wollen.

Um die Auswirkungen auf die Region besser verstehen zu können, muss man sich unbedingt zuerst vor Augen führen dass in Ägypten unter Präsident Mohammed Mursi die Muslimbruderschaft an die Macht kam. Es würde jetzt den Rahmen für diesen Bericht sprengen um den Unterschied zwischen Muslimbruderschaft und beispielsweise den Salafisten zu erklären (dazu folgt ein separater Thread).
Die Muslimbrüder, oder Ikhwan al-Muslimun, waren oder sind an der Macht in Ägypten, Tunesien und im Gaza-Streifen, sie bilden starke Fraktionen in Kuwait und Jordanien und werden massiv von Qatar unterstützt. In Syrien bekämpfen der Muslimbruderschaft nahestehende Jihadisten zusammen mit anderen islamistischen Strömungen die Regierung von Präsident Bashir al-Assad.
Aber Ägypten war sozusagen die Krönung und Erfüllung des politischen Traums der Muslimbruderschaft, als grösstes und wichtigstes Land der eigenen Einflusssphäre.
Mit Ägypten in den Händen versuchte Mursi den Einflussbereich weiter auszudehnen, bestes Beispiel war die Einfrierung der diplomatischen Beziehungen zu Syrien erst vor ein paar Wochen.

Wie sich das Roulette in der Region weiter entwickeln wird kann man nicht voraussehen. Fakt ist aber, dass die Entmachtung von Mursi ein brutaler Schlag ins Gesicht für Qatar ist. Das kleine Emirat versuchte mit der breiten Aufstellung der Muslimbruderschaft überproportionalen Einfluss auf eine Region mit über 100 Millionen Menschen auszuüben und ging dabei buchstäblich über Leichen. Wie bereits mehrfach in diesem Blog erwähnt, scheiterte Qatar bisher katastrophal mit dieser Taktik: in Libyen konnte sich die Muslimbruderschaft nicht durchsetzen und das Land ist seit dem Sturz von Qaddhafi im Chaos versunken, in Syrien sorgte das aggressive Vorgehen des Emirats nur zum Zerwürfnis der verschiedenen "Rebellenfraktionen" und Qatar musste nun sogar die Führungsrolle an den Erzrivalen Saudi Arabien abtreten, in Ägypten wurde die Muslimbruderschaft entmachtet. Noch bevor es zu diesem Debakel aus der Sicht von Doha kam, meldete zwar der neue Herrscher von Qatar, Sheikh Tamim bin Hamad al-Thani, dass er die "abenteuerliche Aussenpolitik" seines Vaters etwas zurückfahren möchte, doch wird er das kaum zu einer Politik zurückkehren die der Grösse seines Emirats entspricht.
Für Syrien ist der Fall von Mursi ein enorm grosser Propagandasieg und wird auch den Soldaten der syrischen Armee einen weiteren Schub verleihen. Bisher konnten sie sämtlichen Widrigkeiten zum Trotz dem internationalen Druck standhalten und Staatsmänner wie Reccep Erdogan, Muhammad Mursi oder auch der qatarische Emir, die eine Anti-Assad Politik verfolgten, sind entweder massiv unter Druck geraten oder gar nicht mehr da. Was des einen Leid, ist bekanntlich des anderen Freud. So auch in dem Zusammenfall der Qatar-Muslimbruderschaft Allianz. Die Muslimbruderschaft stellte die grösste Ideologische Gefahr für die Petromonarchien wie Saudi Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate dar, bot doch ihre Vision des Politischen Islams eine reizvolle Alternative zu den absolutistischen Herrschern. Diese Gefahr ist nun zumindest vorübergehend gebannt. Es bleibt auch hier abzuwarten was die Muslimbrüder nun für Schritte unternehmen werden.

Für die Hamas im Gaza Streifen, welche aus der Muslimbruderschaft Ägyptens entstanden ist, ist der Verlust von Mursi eine einzige Katastrophe. Auch die Hamas setzte voll und ganz auf die Karte der Muslimbrüder in Kairo und bezog Stellung gegen die ehemalige Schutzmacht Syrien. In Damaskus hatte die Hamas über Jahre hinweg das politische Hauptbüro, bis auch sie dem allgemeinen Anti-Assad Ruf folgten und das Büro sowie die Beziehung zu Assad schlossen. Damit nicht genug, die Hamas stellte sich offen auf die Seite der "Rebellen". Der Ministerpräsident der Hamas in Gaza, Ismail Haniya, nutzte die neue Herrschaft der Muslimbrüder in Ägypten für einen öffentlichen Aufruf im Frühjahr 2012 gegen Assad: und das von der symbolträchtigen Al-Azhar Moschee in Kairo aus! Damit brüskierte Haniya aber auch einen nicht unerheblichen Financier der Hamas, nämlich den Iran. Teheran zog daraus die Konsequenzen und verringerte erheblich die Zahlungen nach Gaza. Aber auch die militärische Kooperation wurde beendet .
Nach dem Putsch gegen Mursi steht die Hamas aber nicht mehr da wo sie noch zu Mubaraks Zeiten stand. Man hat es sich mit den Syrern und Iranern verscherzt und zurückrudern können die Strategen in Gaza nicht mehr, dafür wurde zu viel öffentlich gesagt. Das bedeutet nicht dass die Hamas nun international isoliert dasteht. Die Geldgeber in den Scheichtümern des Persischen Golfes werden auch weiterhin viel Geld überweisen, mit der Türkei pflegt die Hamas ebenfalls sehr gute Beziehungen. Der finanzielle Aspekt ist für die Hamas natürlich enorm wichtig, denn nur so können sie die sozialen Projekte und Infrastruktur für die so leidgeprüfte palästinensische Bevölkerung bezahlen. Mit diesen Leistungen und der Bemühung um für Recht und Ordnung zu sorgen sichern sie sich die Unterstützung der Bevölkerung. Aber was ebenfalls sehr wichtig ist, ihre Opposition zu Israel ist es die die Hamas in den Augen vieler Palästinenser (nicht nur im Gaza-Streifen!) und der arabischen Strasse interessant gemacht hatte. Nachdem sich nun die Situation aber so rasend schnell verändert hat, wird die Hamas ihre Strategie neu überdenken müssen will sie nach wie vor als Symbol des Widerstandes glorifiziert werden können.

In Israel ist man sich hingegen nicht sicher ob man sich freuen soll nachdem die Herrschaft der Muslimbruderschaft über das Land des einstigen mächtigsten Feindes beendet wurde, oder ob jetzt erst die Probleme so richtig anfangen. Wie bereits erwähnt, den Frieden zwischen Israel und Ägypten über knapp 32 Jahren erkauften sich die USA mit jährlichen Hilfszahlungen an beide Länder. Solange das Militär in Ägypten offiziell an der Macht war ging dieser "Frieden" für die involvierten Parteien auf, denn diese Hilfszahlungen flossen hier wie dort jeweils an das Militär. Mit dem Sturz von Hosni Mubarak fing aus der Sicht Israels eine Zeit der Ungewissheit an. Denn man wusste in Tel Aviv sehr wohl wenn eine Regierung in Kairo an die Macht kommen würde, welche tatsächlich die Stimmung der Volkes hinblicklich des Staates Israel berücksichtigt, dann könnte dieser "Frieden" schnell in Probleme ausarten. Diese Ungewissheit verstärkte sich dann noch mehr als tatsächlich Mohammed Mursi zum Präsidenten gewählt wurde. Doch erstaunlicherweise mussten die Israeli feststellen, dass Mursi es nicht eilig hatte für Probleme mit Israel zu sorgen. Im Gegenteil, in dem von Israel provozierten Krieg im November 2012 (siehe hier, hier und hier) gegen die Hamas, zeigte Mursi gar Führungsqualitäten und vermittelte einen Waffenstillstand. Obwohl suspekt, rüttelte die Regierung in Kairo nicht an dem Friedensvertrag von 1979.
Der Putsch gegen den ägyptischen Präsidenten bedeutet nicht, dass sich an dieser Situation zwangsläufig etwas ändern wird oder muss. Denn wie bereits 2011, ist nicht Israel das drängendste Problem der Ägypter sondern ihr eigenes Überleben. Das heisst aber trotzdem nicht, dass ihnen die Palästinenser egal sind oder sie auf einmal mit Wohlwollen den Nachbar im Osten betrachten. Im Gegenteil, wie schnell sich die allgemeine Unzufriedenheit in einen wütenden Mob gegen Israel verwandeln kann zeigte der Angriff vom September 2011 auf die israelische Botschaft in Kairo (vorausgegangen war die Tötung von ägyptischen Grenzbeamten durch ein israelisches Sturmkommando).
Die Gefahr für Israel besteht darin, dass Ägypten im Chaos versinkt und das Militär insbesondere im Sinai nicht mehr unter Kontrolle hat. Die Halbinsel ist seit dem Sturz von Mubarak zu einer gefährlichen Region geworden, wo sich Beduinen gegen die Staatsgewalt stemmen und ein Sammelsurium von Gewaltbereiten Männern versteckt halten. Diese Instabilität im Sinai sorgte bereits dafür, dass die Öllieferungen von Ägypten nach Israel und Syrien ausgesetzt werden mussten und Kairo dadurch Millionen von dringend benötigter Devisen verloren gingen. In diesem Sammelsurium von Gewaltbereiten Männern befinden sich auch Jihadisten der Al Qaeda unter der Leitung von Mohammed al-Zawahiri, dem Bruder des Al Qaeda Chefs Ayman al-Zawahiri. Der ägyptische Ableger der Al Qaeda rief bereits den Kampf gegen Kairo aus und hisste in Suez die schwarze Al Qaeda Flagge. Schaffen es die wahhabitischen Extremisten tatsächlich die Halbinsel weiter zu destabilisieren oder sogar den Suezkanal mit Terroranschlägen zu blockieren, das ägyptische Militär aber nicht in der Lage sein könnte wieder Ordnung zu schaffen, dann wird Israel wieder in den Sinai einrücken weil es keine Gesetzlosigkeit an ihrer Grenze dulden wird.

Betrachtet man nun die Situation im Nahen Osten und sich dabei die Frage stellt wer am meisten von diesen Unruhen und Umstürzen profitiert, dann kann es nur eine Antwort geben: Israel.
Seit der Gründung von Israel 1948 war das grösste Problem, das grösste Risiko für den "Judenstaat" wie es der Begründer der zionistischen Ideologie Theodor Herzl nannte, von Ägypten, Syrien und Irak ausgegangen. Davon kann heute keine Rede mehr sein. Irak ist nach der US-Invasion von 2003 nur noch ein Schatten seiner selbst und droht komplett auseinanderzubrechen. Syrien wurde ebenso destabilisiert und der Kampf tobt noch um die Vorherrschaft im Lande. Ägypten befindet sich im Chaos, das einstige stärkste arabische Land ist bankrott und hängt von der Gnade Saudi Arabiens ab, da weder die Weltbank noch sonst ein Investor daran interessiert ist Milliarden in den heissen Sand der Sahara zu stecken. Israel kann somit ungehindert die eigene Macht (wirtschaftlich wie auch militärisch) mit tatkräftiger Unterstützung der USA auf den gesamten Nahen Osten projizieren. Der Iran war nie und ist auch keine Gefahr für Israel, für das ist das Land einfach viel zu weit entfernt.





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