Dienstag, 25. Februar 2014

Syrien: muss Al Qaeda wieder herhalten?

In meinem Bericht "Hat Saudi Arabien in Syrien verloren?" vom 22. Januar 2014 habe ich darauf hingewiesen, dass es Anzeichen gibt, dass die USA Saudi Arabien zu einem Kurswechsel in Syrien drängen werden. Auch der Zeitpunkt wurde exakt genannt: März 2014.
Allen saudischen Unkenrufen zum Trotz, welche, seit dem spektakulär gescheiterten Plan das US-Militär mit aller Macht in den syrischen Krieg miteinzubeziehen, eine eigenständige und "robustere" saudische Aussenpolitik für Syrien ankündigte, scheint sich die Erkenntnis in Riad durchgesetzt zu haben dass es ohne die USA doch nicht geht.
Wie das Wall Street Journal berichtete, wurde dem bisherige starken Mann für die Syrienpolitik,  Geheimdienstchef und ehemaliger Botschafter in den USA Prinz Bandar bin Sultan, diese Verantwortung entzogen. Aus gesundheitlichen Gründen wie es offiziell heisst. Es wird viel mehr daran gelegen haben, dass Bandar bin Sultan mit seinem Plan a) nichts erreicht hat und b), für Saudi Arabien plötzlich viel mehr auf dem Spiel stand als "nur" die Syrienpolitik. Den Informationen des Wall Street Journal zufolge soll die "Syrienakte" der saudische Innenminister Prinz Muhammad bin Nayif übernehmen. Er gilt als der Mann, der die Al Qaeda aus Saudi Arabien verjagt hat und zusammen mit den USA die Drohnenangriffe im Yemen koordiniert. Zusammen mit Prinz Miteb bin Abdullah, dem Sohn des Königs Abdullah, soll er dafür Sorgen dass "eine neue Strategie" für Syrien geformt wird, die "ruhiger, offener und nicht zu extrem ist, in der mehr Politik sein wird und wahrscheinlich viel weniger Militär".

Diesem "Sturz" von Bandar bin Sultan ging ein neues Anti-Terror-Gesetz in Saudi Arabien zuvor, welches unter anderem die Teilnahme von saudischen Staatsbürgern an Kampfeinsätzen im Ausland verbietet und eine Gefängnisstrafe von drei bis zwanzig Jahren droht. Das bedeutet jeder saudische Jihadist der nach seinem "Einsatz" wieder zurückkehrt, könnte verhaftet und für lange Zeit hinter Schloss und Riegel gesteckt werden. Was zunächst nach einem Schritt nach vorne im "Kampf gegen den Terror" klingt, wird von dazugehörigen Artikeln und Paragraphen mehr als nur zunichte gemacht. Mit diesem neuen Anti-Terror-Gesetz sollen nicht nur die Jihadisten bekämpft werden, sondern im Grunde jegliche Form von Opposition gegen das Herrscherhaus al-Saud. Oder wie es ein saudischer Menschenrechtsaktivist formulierte: "Sie (das Herrscherhaus) charakterisieren dich als Terroristen weil du das Königreich um etwas bittest was sie nicht tun wollen."

Das weitere, und bei weitem grösste Problem mit diesem Anti-Terror-Gesetz und dem Wechsel der saudischen Syrien-Strategie ist die Verzerrung der Wahrnehmung. Während Prinz Bandar bin Sultan (oder auch als Bandar Bush bezeichnet) nun als "point-man" von Washington abgesäbelt und von US-Aussenminister John Kerry sogar als "das Problem" bezeichnet wurde, kommt nun ein Mann der in Washington als Macher gilt. Nicht das Bandar bin Sultan kein Macher gewesen wäre. Mitnichten! Bandar galt seit den 1980er Jahren für diverse Administrationen in Washington als Macher. Immer wenn es galt irgendwelche illegale Operationen durchzuführen, war Bandar zur Stelle und organisierte die Finanzierung. Das sicherte ihm direkten Zugang ins Oval Office, insbesondere während den Regierungszeiten unter den Bush`s. Das ging solange gut bis der Macher Bandar bin Sultan genau das tat was Washington wollte. In Syrien aber überspann er offensichtlich in den Augen der Amerikaner den Bogen mit seiner eigenen Politik. Der vom Iran besessene Prinz (was ihn eigentlich zu einem guten Partner von Netanyahu gemacht hätte) wollte eine US-Intervention, die Amerikaner aber auf gar keinen Fall. Genau das sollte ihm schliesslich zum Verhängnis werden.
Dann ist da jetzt Prinz Muhammad bin Nayif, mit dem die US-Behörden ausserordentlich gute Erfahrungen im Kampf gegen Al Qaeda in Saudi Arabien und im Yemen gesammelt haben. Regelrechte Lobpreisungen gab es in den US-Medien für den mittlerweile 54-Jährigen, während man seine Generation von saudischen Prinzen im Allgemeinen für sehr gut ausgebildete Macher hält.

Während also Bandar`s eigene Pläne den Ärger Washingtons hervorriefen, steht nun ein Saudi an der Spitze der Syrienpolitik der sich in den Augen der Amerikaner als Teamplayer präsentiert. Erst vor 2 Wochen weilte Prinz Muhammad bin Nayif in Washington zu Gesprächen mit CIA-Chef John Brennan, der Nationalen Sicherheitsberaterin Susan Rice, Aussenminister John Kerry, und den Direktoren des FBI und NSA. Und so wie es aussieht, hat er es geschafft die Amerikaner davon zu überzeugen, dass die syrischen "guten" Rebellen endlich Flugabwehrsysteme erhalten sollen und er dafür sorgen kann, dass diese High-Tech Waffen nicht in die Hände von "bösen" Rebellen gelangen. Das aber ist nichts weiter als Wunschdenken! Das Problem dabei ist, dass die fanatischsten Rebellen in Syrien auch gleichzeitig die erfolgreichsten auf dem Schlachtfeld sind und im religiösen Wahn des Wahhabismus gefangen sind. Wie ich schon desöfteren berichtet habe, hat ihr Kampf nichts mit einem demokratischen Staat in Syrien zu tun, sondern die Errichtung eines islamischen Kalifats und der Heilige Krieg gegen alle Ungläubige ist es der sie antreibt. Immer mehr Ausländer beteiligen sich an diesem Ziel, auch dutzende Europäer und hunderte Tunesier, Libyer, Jordanier, Saudis, Iraker,  Tschetschenen und andere Kaukasische Extremisten.
Sollte es auch nur den Anschein erwecken dass dieses Ziel eines Kalifats, oder eines Diyar al-Tamkeen (Wehrhaus) wie es der jordanische Islamismus Experte Tamer Smadi bezeichnete, in die Reichweite des Möglichen kommen könnte, würde es zu einem enormen Schub unter den bisher nur sympathisierenden weltweiten Salafisten führen und sie zum Eingreifen in den Kampf ermuntern. Sollten diese wahhabitischen Extremisten es schaffen Bashir al-Assad zu stürzen, dann stünde das Herrscherhaus al-Saud als Nächstes auf der To-Do Liste.Tamer Smadi erklärte auch, dass diese neue Generation von wahhabitischen Extremisten nicht mehr daran interessiert ist einen Heiligen Krieg gegen den Westen zu führen, sondern darauf bedacht ist regionale Ziele zu erreichen. Denn was vielen Menschen nicht klar ist, die meisten Ziele von Al Qaeda (wie zum Beispiel das finanzielle Ausbluten der USA) wurden bereits erreicht und man konzentriert sich nur noch auf den defensiven Jihad, d.h. den Krieg gegen von Ungläubigen besetzten heiligen islamischen Boden. Darunter zählt auch paradoxerweise das Herrscherhaus al-Saud. Paradoxerweise deshalb, weil erst die wahhabitische Ideologie Al Qaeda hervorbringen konnte und diese wahhabitische Weltsicht auch weiterhin die prägende Ideologie der Organisation darstellt.

Das alles weiss natürlich auch der saudische Prinz, genau so wie es auch Bandar vor ihm wusste. Der Unterschied ist nur was man mit dieser Gefahr anstellen soll. Bandar bin Sultan hielt diese wahhabitischen Extremisten an der Leine, während Muhammad bin Nayif diese bekämpfen soll. Und hier kollidieren dann wieder die Ziele der USA und Saudi Arabiens. Das grosse Problem dabei ist, und was Washington offensichtlich keine moralische Mühe bereitet genau so wenig wie man keine Bedenken hat Nazis in der Ukraine zu unterstützen, dass der Wahhabismus trotzdem seine dunkle Ideologie weiter exportieren wird (siehe hier und hier). Es ist wie ein Kampf gegen die Hydra: schlägt man dem mehrköpfigen Ungeheuer einen Kopf ab, wächst dieser nach.
Es bringt nichts die wahhabitischen Extremisten in Syrien zu bekämpfen, während in Saudi Arabien der Wahhabismus nach wie vor Staatsreligion ist und gleichzeitig versucht wird, diese Ideologie weiter in die Welt zu exportieren. Damit nährt man das Ungeheuer welches man eigentlich besiegen möchte. Nochmal zur Erinnerung: selbst die Europäische Union betrachtet den Wahhabismus als Gefahr! (siehe Studie der EU)

Es muss also eine andere Erklärung für diesen plötzlichen Strategiewechsel in Riad und Washington geben. Und zwar geht es um die Ehre des Hauses al-Saud. Die Saudis haben im vergangenen Jahr eine bittere Pille nach der anderen schlucken müssen und standen Ende 2013 vor einem politischen Scherbenhaufen. Syrien: Ziel (Sturz von Bashir al-Assad) nicht erreicht. USA: Ziel (US-Intervention) nicht erreicht. UNO: Ziel durch eigene Entscheidung nicht erreicht. Iran: Ziel (weitere Isolierung und Sanktionierung) nicht erreicht. Libanon: Ziel (Ausschluss von Hezballah aus der Regierung) nicht erreicht.
Für ein Land welches sich als Führungsnation des Dar ul-Islam, des Haus des Islams sieht, ist dieses Ergebnis eine reinste Katastrophe. Es muss also unbedingt ein Erfolgserlebnis her, welcher diesen Führungsanspruch wenigstens oberflächlich gerechtfertigt. Viel Spielraum bleibt da nicht übrig; momentan eigentlich nur in Syrien. Gegen die Annäherung der USA an den Iran können die Saudis wenig ausrichten. Wenn es nicht einmal Israel geschafft hat hier einen Strich durch die Rechnung zu machen, dann wird das den Saudis noch viel weniger gelingen. Diesen Punkt unterstrich letzte Woche ein US-Regierungssprecher ziemlich deutlich, als er nach den Gesprächen mit dem Iran in Wien gefragt wurde, was er von der Forderung von Binyamin Netanyahu nach "Null Anreicherung und Null Zentrifugen" hält. Seine Antwort: "Wir respektieren Netanyahu`s Statements und es ist wichtig zu hören was unsere Alliierten zu sagen haben. Aber wir werden nicht immer einer Meinung sein."  
Auf deutsch übersetzt das: Netanyahu kann sagen was er will, aber HIER lassen wir uns nicht mehr reinreden! Nachdem nun auch der Iranophobe Bandar bin Sultan nicht mehr im syrischen Sattel sitzt, muss Riad seine Politik schlicht der Realität anpassen. Das bedeutet aber nicht, dass der Traum vom Sturz von Bashir al-Assad ausgeträumt ist. Auch Washington teilt nach wie vor den selben Traum, obwohl die Geheimdienste längst ihre Einschätzung zur Lage in Syrien revidiert haben und der einhellige Tenor nun ist, dass Assad am Drücker ist und die Mehrheit der Syrer hinter ihm steht.

Es sind aber nicht nur die Saudis die schlechte Karten in Syrien haben. Den USA geht es da nicht besser, und das nagt doch ziemlich am Selbstbewusstsein des mächtigsten Staates der Erde. John Kerry hat angeblich gegenüber einigen US-Senatoren zugegeben, dass die bisherige US-Politik in Syrien gescheitert ist und dass man die Strategie ändern muss. Angesichts der Tatsache dass die Obama-Administration tatsächlich an einer Annäherung mit Teheran interessiert ist, auch wenn es immer wieder rhetorische Seitenhiebe gibt die das Gegenteil vermuten lassen, dann dürfte sich die neue US-Strategie in Syrien nicht fundamental diametral den iranischen Interessen entgegenstellen. Noch nicht. Zur Erinnerung: Washington`s ursprüngliche Gründe zur Beseitigung von Assad lagen hauptsächlich in der Eliminierung von Irans soft power in der Region. Für gewisse Neokonservative Kreise aber war Damaskus nur ein Zwischenstopp auf dem Weg zum Regimewechsel in Teheran, wie es der ehemalige NATO-Kommandeur Wesley Clark in einer Rede selbst sagte: "... wir starten mit dem Irak, danach gehen wir nach Syrien, Libanon, Libyen, Somalia, Sudan und Iran".

Sollten die Verhandlungen aber mit dem Iran scheitern, unabhängig der Gründe dafür, dann möchte Washington sicher nicht ohne einen Trumpf im Ärmel dastehen. Und dafür braucht man eben die Saudis. Aber an diesem Punkt sind wir (noch) nicht.
Damit nun Saudi Arabien ihren vermeintlichen Führungsanspruch unter Beweis stellen kann, "darf" der saudische Inneminister und womöglich künftiger König, Muhammad bin Nayif, mit US-Segen entschlossener in Syrien eingreifen. Und prompt brodelte die Gerüchteküche, als nach dem Besuch bin Nayif`s in Washington der saudische Kronprinz und Verteidigungsminister Salman bin Abdul Aziz nach Pakistan flog um einen Verteidigungspakt zwischen den beiden Staaten zu unterzeichnen, und nebenbei auch angefragt haben soll, pakistanische Luftabwehrraketen für die "guten" syrischen  Rebellen zu kaufen. Diese Berichte sorgten für extremen Wirbel in der pakistanischen Regierung, und veranlassten den Regierungssprecher zur Aussage dass es "keine Änderung der Regierungspolitik zu Syrien gibt".  Er meinte weiter, dass jeder weiss was es bedeutet sich in den "Schlamassel des Mittleren Ostens" einzumischen, und dass Pakistan "genug eigene Probleme hat und man sich das nicht leisten kann".
Nichtsdestotroz wird dieser amerikanische Strategiewechsel in Syrien zur Folge haben, dass Saudi Arabien die "guten" Extremisten in Syrien mit neuen Waffen ausstatten wird um propagandistisch den Kampf gegen Assad in der Mehrheitlich vom Wahhabismus geprägten Arabischen Halbinsel auszuschlachten. Da in Washington aber niemand mehr ernsthaft daran glaubt dass der syrische Präsident militärisch zu stürzen ist, hat sich Prinz bin Nayif dafür "verpflichten" müssen, nicht nur gegen die syrische Armee vorzugehen sondern auch gegen die Al Qaeda Ableger wie Jabhat al-Nusra oder ISIS. Und schon wird in den US-Medien die Gefahr für die USA heraufbeschworen die von Al Qaeda (wieder) ausgeht, unter aktiver Beteiligung von CIA-Chef John Brennan, um das amerikanische Volk auf auch weiterhin für den "Kampf gegen den Terror" fit zu halten.


Beteiligt an dieser Ausweitung der Propaganda sind auch die Medien der Arabischen Halbinsel, denn es muss den gläubigen Wahhabiten ja klar gemacht werden, weshalb ausgerechnet die schlagkräftigsten Gruppen in Syrien nun plötzlich von den eigenen Regierungen bekämpft werden, obwohl man sie bisher aktiv unterstützt hat und sie als Avantgarde im Religionskrieg gegen die "Ungläubigen" betrachtete.

Das alles wird König Abdullah II. von Jordanien ziemlich Kopfzerbrechen bereiten. Denn aus seinem Land werden und wurden die Operationen über die Grenze hinweg geführt (Logistik, Training, Ausbildung, Rückzugsgebiete). In seinem Land hat die grösste Anzahl von Syrien Zuflucht gefunden. Und aus seinem Land wächst die Zahl von Salafisten beständig, die sich auf den Weg über die Grenze machen um Seite an Seite von Jabhat al-Nusra gegen die syrischen Truppen zu kämpfen. Gleichzeitig wird aber die US-Präsenz in Jordanien, welche bisher offiziell die Rolle als Ausbilder für die "guten" Rebellen inne hatte, immer mehr zu einem voll funktionstüchtigen Hauptquartier der US-Armee ausgebaut.  Dieser Widerspruch, Bekämpfung von wahhabitischen Extremisten welches von diesem Hauptquartier koordiniert werden soll und der Zustrom von jordanischen Salafisten zu eben jenen Gruppierungen, wird zwangsweise negative Auswirkungen auf die innere Sicherheit von Jordanien haben. Als kleines "Schmankerl" aber wurde dem jordanischen Monarchen nebst der jährlichen Gratifikation für den Friedensvertrag von 1994 mit Israel über 660 Millionen USD, eine Kreditgarantie über eine Milliarde US-Dollar von Präsident Obama persönlich gewährt (von den Petromonarchien der Arabischen Halbinsel wurden Jordanien 5 Milliarden USD zugesagt).




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