Sonntag, 27. Juli 2014

Gaza: das "Problem" mit dem Waffenstillstand

Wenn das Thema auf die Verhandlungen um einen Waffenstillstand zwischen Israel und der Hamas kommt, hört man prinzipiell das eine: Hamas hatte die Möglichkeit einem Waffenstillstand zuzustimmen, als die Opferzahlen noch nicht diese Ausmasse erreicht haben wie einige Tage später. Deshalb ist die Hamas selbst schuld dass es heute über 800 Todesopfer im Gaza Streifen zu beklagen gibt.

Das ist zumindest die Sichtweise die die israelische Armee vertritt, obwohl man nach wie vor sehr gerne davon spricht, dass es "keine andere Armee auf der Welt gibt, die mehr dafür tut um unschuldige Menschen zu beschützen". Nun, die Statistik spricht eine andere Sprache. Um in der kalten Sprache der Zahlen zu bleiben: 73% der Opfer sind unschuldige Zivilisten und "nur" 15% sind Mitglieder von bewaffneten Gruppierungen. Bemerkenswert dabei ist allerdings, dass das Weisse Haus in Washington diese Zahlen anfänglich nicht so interpretiert sondern angemerkt hat, dass man "keinen Beweis für einen unproportionalen Einsatz der Luftschläge" feststellen konnte.

Und genau diese Zahlen sind es die die Menschen im Gaza Streifen dazu veranlassen, in diesem Krieg zur Hamas zu halten weil sie die einzigen sind, die für ihre Rechte kämpfen. Wie das mit der Ablehnung des Vorschlags für einen Waffenstillstand vom 14.07. zusammenpasst fragen Sie sich? Auch wenn in unseren Medien von einem "ägyptischen Vorschlag" die Rede war und das israelische Kabinett diesen Vorschlag umgehend angenommen und die Hamas mindestens so schnell abgelehnt hat, so dass das Bild entstand als ob die Hamas nicht gewillt war die Waffen ruhen zu lassen.
Das Problem an der ganzen Sache war, dass es sich weder um einen "ägyptischen Vorschlag" gehandelt hat, noch dass dieser Vorschlag mit der Hamas als Kriegspartei überhaupt besprochen wurde. Diplomatie sieht anders aus.

Was in den Medien als eine ägyptische Initiative und Vorschlag dargestellt wurde, wobei man fairerweise anmerken muss dass es Tony Blair selbst war der seine Initiative als eine ägyptische verkaufte, war die Arbeit von Tony Blair, der aber im Mittleren Osten sämtliches politisches Kapital über das er als britischer Premierminister jemals verfügt hat, schon längst verspielt hat. Selbst in Grossbritannien gibt es Stimmen die verlangen, dass Tony Blair wegen Kriegsverbrechen aufgrund seiner krimineller Rolle die zur US-Britischen Irak-Invasion geführt hat, und trotz alledem steht dieser Mann noch dem sogenannten "Nahostquartett" vor und unterhält ein Büro in Jerusalem. Und ausgerechnet dieser Tony Blair soll nun einen Vorschlag ausgearbeitet haben, der einen Waffenstillstand zum Ziel gehabt haben sollte. Das Problem an der ganzen Sache aber war, abgesehen von Blair`s Reputation, dass der Inhalt dieses Vorschlags mit Israel abgesprochen und zu Netanyahu`s Bedingungen formuliert wurde. Kein Wunder also segnete das israelische Sicherheitskabinett diesen "ägyptischen Vorschlag" so schnell ab.
Was beinhaltete aber dieser Vorschlag? Nicht viel...

Dem Wunsch von Binyamin Netanyahu folgend, hätten die Hamas den Status Quo akzeptieren müssen, d.h. weiter die Ghettoisierung durch Israel als unabwendbaren Fakt hinzunehmen und immer wieder mal mit Angriffen rechnen zu müssen. Und was vielleicht der wichtigste Punkt von allem gewesen wäre wie es einige israelischen Regierungsangehörige selbst zugegeben haben, durch die Unterzeichnung dieses Blair Abkommens hätte Hamas die israelische Version der "Selbstverteidigung" legitimiert, so dass Israel für die Kriegsverbrechen nicht mehr zur Rechenschaft gezogen werden könnte. 

Kein Wunder nannte der Sprecher der Hamas diesen Vorschlag als "unakzeptabel und die Tinte auf dem Papier nicht wert". Auch wenn in unseren Medien immer der Zusatz "radikal-islamisch" hinzugefügt wird sobald die Hamas erwähnt wird, so sind die Forderungen der Hamas zur Waffenruhe alles andere als "radikal". Es gibt in unseren Medien nicht einen Hinweis darauf, dass die Hamas selbst auch einen 10-Punkte Plan für einen zehnjährigen Waffenstillstand mit Israel vorgelegt hat, der vom israelischen Sicherheitskabinett nicht einmal besprochen wurde, geschweige denn zur Abstimmung gebracht worden wäre. Es ist aber sehr wichtig dass sämtliche verfügbaren Informationen auf den Tisch kommen, umso mehr als in unseren Medien ein eindeutiges pro-Israel Narrativ verfolgt wird wie man anhand der abgezogenen Journalisten gesehen hat die es gewagt haben, einfach nur die Realität ohne jegliche Wertung zu zeigen. Deshalb hier der 10-Punkte Plan der Hamas und urteilen Sie bitte selbst, ob es sich dabei um irgendwelche "radikal-islamische" Forderungen handelt, oder ob es sich nicht viel mehr um Punkte handelt die dem Gemeinwohl der palästinensischen Bevölkerung des Gaza Streifens dienen:

1: Abzug der israelischen Panzer von der Grenze zu Gaza
2: Freilassung aller Gefangener die in der Folge nach der Entführung der drei (israelischen) Jugendlichen festgenommen wurden
3: Aufhebung der Belagerung (Blockade) und die Öffnung der Grenzübergänge für den Handel und die Menschen
4: Errichtung eines internationalen Hafens und Flughafens die unter UN-Aufsicht stehen
5: Erweiterung der gestatteten Fischereizone auf 10 Kilometer
6: Der Rafah-Übergang (Grenze zu Ägypten) soll internationalisiert werden und unter die Aufsicht der UN und einigen arabischen Ländern gestellt werden
7: Internationale Kräfte an den Grenzen
8: Lockerung der Bedingungen für Genehmigungen um an der Al Aqsa Moschee beten zu können
9: Verbot für israelisches Einmischen in das Versöhnungsabkommen (zwischen Hamas und Fatah)
10: Wiederherstellung einer Industriezone und Verbesserungen in weiteren wirtschaftlichen Entwicklungen im Gaza Streifen

Meiner Meinung nach findet sich in diesen Forderungen nicht einziger Punkt, der als radikal oder sonstwie zur Förderung eines radikalen Islamismus oder gar Terrorismus der Hamas gewertet werden könnte, sondern stellt das Wohlergehen der Menschen im Gaza Streifen über parteipolitisches Geplänkel hinweg. Aber wie gesagt, weder wurde dieser 10-Punkte Plan in unseren Medien erwähnt noch wurde er vom israelischen Sicherheitskabinett diskutiert. Das zeigt einmal mehr, dass nicht etwa die Hamas kein Interesse an einem fairen Waffenstillstand hat, sondern viel mehr ist es Israel. Durch einen fairen Waffenstillstand, der durch Verhandlungen aller involvierten Parteien ausgehandelt wurde, müsste Israel der Welt zeigen was man für ein Ghetto aus dem Gaza Streifen gemacht hat. Und die internationale Gemeinschaft, allen voran die USA und die EU, müssten sich eingestehen dass das alles mit deren aktiver Unterstützung erst geschehen konnte.

Offensichtlich versuchte der amerikanische Aussenminister John Kerry genau das mit seinem Vorstoss zu einem Waffenstillstand, der von Israel glattweg vom Tisch gefegt wurde. Die genauen Punkte sind zwar noch nicht bekannt, aber anhand der heftigen Reaktionen selbst aus den Federn der Tageszeitung Haaretz, die ansonsten durchaus hart mit der Regierung von Netanyahu ins Gericht geht, kann man schliessen, dass John Kerry einen Versuch unternommen hat nicht nach Israels Pfeife zu tanzen. Man regt sich insbesondere darüber auf, dass "dieses Dokument Israel und die Hamas auf die gleiche Ebene gestellt hat, als ob die Erste nicht eine primäre Alliierte der USA ist und als ob die  Zweite nicht eine Terrorgruppe ist".

Eines muss jedoch klar sein: nachdem die israelische Polizei zugeben musste dass der von Binyamin Netanyahu angeführte Grund für den Krieg gegen die Hamas, nämlich dass die Hamas für die Entführung und Ermordung der drei israelischen Jugendlichen verantwortlich ist, nicht korrekt ist, geht es schon längst nicht mehr (bzw. ging es noch nie darum!) darum. Es geht darum, ob die Hamas und die Palästinenser im Gaza Streifen zum Status Quo des von Israel gestalteten Ghetto zurückgebombt werden können, oder ob es die Hamas und die Palästinenser schaffen einen strategischen Waffenstillstand zu erzielen der genau dieses Ghetto zum zentralen Aspekt macht, um das Leben der 1.8 Millionen Menschen im Gaza Streifen zu verbessern. Betrachtet man die Entschlossenheit nicht nur der Hamas, sondern der Palästinenser im Allgemeinen (also im Gaza Streifen, in Israel und der West Bank), dann scheint es kein Zurück zum Status Quo mehr zu geben.
Dasselbe denken auch einige israelische Regierungsmitglieder, wie zum Beispiel Avigdor Liberman oder Uri Ariel:



*UPDATE*
Hier der Inhalt der Waffenstillstandsinitiative von John Kerry. Damit sollte klar sein warum Israel diesen Plan abgelehnt hat und nun so massiv in den israelischen Medien dagegen gewettert wird. Von "Verrat" ist die Rede...

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