Donnerstag, 24. Juli 2014

Gaza: der gewollte Krieg

Das der Krieg gegen die Hamas von Israel`s rechtsgerichteter Regierung herbeigesehnt wurde, ist für die Leser dieses Blogs nichts Neues. Bereits am 3. Juli habe ich geschrieben, wie Ministerpräsident Netanyahu den Tod der drei aus einer illegalen Siedlung in Palästina entführten Jugendlichen schamlos ausgenutzt hat, um gegen die erst kürzlich vereidigte palästinensische Einheitsregierung unter Fatah und Hamas losschlagen zu können. Netanyahu forderte von Mahmoud Abbas in einer Kabinettserklärung, das Abkommen mit der Hamas "zu zerreissen".

Nathan Trall, ein Analyst der International Crisis Group, bestätigte zwei Wochen nach meinem Bericht diese Tatsache in seinem Artikel "How the West Chose War in Gaza" in der New York Times, und gab noch folgende Hinweise darauf dass der Krieg von Israel, und auch durch die USA sowie der EU, einer politischen Entwicklung dieser Einheitsregierung vorzuziehen sei:

"Israel wehrte sich entschieden gegen eine Anerkennung der neuen Regierung durch die USA, und versuchte sie (die Einheitsregierung) international zu isolieren, indem sie (Israel) jeglichen kleinen Schritt in Richtung palästinensischer Einheit als Bedrohung empfanden.

Aber die Schlüsselfragen wie die Bezahlung der Beamten in Gaza und die Öffnung der Grenze zu Ägypten blieben unangetastet. Die vorgeblichen Unterstützer der neuen Regierung, insbesondere die Vereinigten Staaten und Europa, hätten Ägypten dazu drängen können die Grenzen (zu Gaza) zu lockern, und hätten damit den Menschen in Gaza zeigen können dass die Herrschaft der Hamas der Grund für ihre Isolierung und Verarmung war. Aber sie haben das nicht getan.

Stattdessen wurde das Leben in Gaza noch schlimmer als die Hamas die Obrigkeit einer Regierung von pro-westlichen Technokraten übergeben hat. 
Qatar bot sich an die Löhne für die 43`000 Beamten zu bezahlen, und Amerika und Europa hätten dabei behilflich sein können. Doch Washington warnte davor, dass das amerikanische Gesetz jegliche Übermittlung einer Zahlung auch nur an einen einzigen von diesen Angestellten verbietet - obwohl viele Tausende von ihnen nicht einmal Mitglieder der Hamas sind, aber vom amerikanischen Gesetz so eingestuft werden als dass sie materielle Unterstützung von einer terroristischen Organisation erhalten haben. 

Als ein Gesandter der Vereinten Nationen eine Lösung zu dieser Krise vorschlug indem die Löhne über die Vereinten Nationen ausbezahlt werden sollten, so dass keiner Partei irgendein gesetzlicher Schaden entsteht, wurde das von der Obama Administration nicht unterstützt. Stattdessen stand sie auf der Seite, als der israelische Aussenminister Avigdor Liberman die Ausweisung des UN Gesandten forderte indem er ihm unterstellte, dass er "versucht habe Geld für die Hamas zu übermitteln". 

Hamas versucht jetzt mit Gewalt das zu erreichen, was sie nicht mit einer friedlichen Übergabe der Verantwortung erreichen konnte. Israel versucht wieder zum Status Quo Ante zurückzukommen, wo Gaza nur für etwa 8 Stunden pro Tag Strom hatte, das Wasser nicht trinkbar war, das Abwasser in das Meer gepumpt wurde und Treibstoffmangel dazu führte dass sanitäre Anlagen heruntergefahren mussten, so dass manchmal Fäkalien durch die Strassen schwammen.

Für viele Gazaner, und nicht nur Hamas Unterstützer, ist es wert mehr Bombardierungen und jetzt diese neue Bodenoffensive zu riskieren, für die Chance diesen inakzeptablen Status Quo zu ändern."

Während also einerseits die Menschen in Gaza wieder nahezu geschlosssen hinter der Hamas stehen, was vor gar nicht all zu langer Zeit ganz anders aussah und die Hamas erst zu dieser Einheitsregierung mit der Fatah zwang, und zwar aus dem einfachen Grund weil die Hamas die einzige palästinensische Organisation ist die tatsächlich etwas gegen die brutale Unterdrückung Israels unternimmt, auch wenn es für die Menschen nicht wirklich etwas bewirken kann, sieht sich Israel mit einem Problem konfrontiert dass so nicht vorgesehen war.

Wie bereits im Sommerkrieg 2006 gegen Hezballah im Libanon, hat der israelische Geheimdienst auf ganzer Länge versagt. Genau wie acht Jahre zuvor haben die Geheimdienste die extensive Tunnelarbeit der Hamas nicht feststellen können und zeigen sich nun ausserdem davon überrascht, dass trotz massivsten Bombardements und nun auch unter Einsatz von Bodentruppen nach wie vor dutzende Raketen auf Israel abgefeuert werden können.
Die zweite grosse Überraschung ist, wie mir ein israelischer Offizier mitteilte der anonym bleiben wollte, ist die Tatsache wie professionell die Kämpfer der Al Aqsa Brigaden, dem bewaffneten Flügel der Hamas, in diesem Krieg vorgehen. Das zeigt sich auch unter anderem an den rasant steigenden Opferzahlen unter den israelischen Soldaten, die bis zum Einsatz der Bodenoffensive letzten Donnerstag keinen einzigen Verlust hinnehmen mussten. Doch seitdem kamen bereits 32 Soldaten der Israel Defence Force (IDF) ums Leben, mehr als in den letzten beiden Gaza Kriegen von 2008/2009 und 2012 zusammen (insgesamt 12 Soldaten, drei davon durch friendly fire). Und je mehr israelische Soldaten im Gaza Streifen den Tod finden, desto grösser wird der öffentliche Druck auf Binyamin Netanyahu werden, zumindest den Bodenkrieg so schnell wie möglich zu beenden. Denn es sind nicht die mittlerweile über 700 palästinensischen Todesopfer, wovon dreiviertel unschuldige Zivilisten und sehr viele Kinder sind, die für Betroffenheit sorgen, sondern ausschliesslich die eigenen gefallenen Soldaten.

Das zeigt sich beispielsweise an der unbetrübten Ruhe und Ausgelassenheit die die Strandgänger am schönen Strand von Tel Aviv geniessen, nur eine Stunde von der Kriegszone des Gaza Streifens entfernt.

                                                             (Tel Aviv am 20.07.14)

Die Israelis in Tel Aviv scheren sich grösstenteils nicht im Geringsten um die wachsende Opferzahlen der Palästinenser im Gaza Streifen, was sie allerdings angesichts der unerwartet hohen eigenen Verluste nachdenklich stimmt ist die Frage, was denn eigentlich genau das Ziel ihrer Regierung "dort unten" sein soll. Denn zuerst hiess es, man wolle die 10-15 Tunnels eliminieren die die Hamas gegraben hat. Nachdem sich herausgestellt hat dass es eben viel mehr als nur diese 10-15 Tunnels waren, (24 Tunnels waren es am Tag meiner Abreise am Dienstag) hiess die Direktive dass man das ganze Tunnelsystem der Hamas stoppen möchte. Es war keine Rede mehr von irgendwelchen Raketen oder Raketenstellungen die man eliminieren muss. Nach über zwei Wochen Krieg, gibt die IDF an etwa 30-40% der Tunnels zerstört zu haben. Diese Zahl wurde allerdings bereits ganz am Anfang des Krieges genannt, als man noch von den 10-15 Tunnels ausging. Was die Tel Aviver am Strand noch mehr bohrt, ist die schwammige Aussage ihrer Militärführung die sagt, dass "vermutlich nicht sämtliche Tunnels" gefunden und zerstört werden können, und das trotz der Bodentruppen.
Zwangsläufig stellt sich also die Frage, weshalb man als Reservist überhaupt in diesen Krieg ziehen soll, wenn schon von Anfang an der Ausgang von der eigenen Führung als ungewiss eingestuft wird. Das sorgt nicht gerade für die richtige Moral im Kampfeinsatz.

                                   (IDF Soldat betet auf seinem Panzer vor dem Einsatz im Gaza Streifen)

Es erscheint dem Besucher in Tel Aviv doch recht merkwürdig, wie die Menschen dort so gleichgültig gegenüber dem Leid ihrer Mitmenschen nur 75 Kilometer weiter südlich eingestellt sind. Als die Sirenen heulten, hörte man dann sogar Stimmen die sagten, dass "Zahal dort endlich richtig aufräumen soll, damit das hier ein Ende hat". Zahal ist das hebräische Synonym für die IDF und was diese Stimmen sagten, war nichts anderes als der Ruf nach einem Genozid an der palästinensischen Bevölkerung, damit die am eigenen Leib empfundene Unannehmlichkeit "ein Ende" hat. Anders ausgedrückt, zu diesem Zeitpunkt stand die israelische Bevölkerung in grosser Mehrheit hinter Netanyahu und seinem gewollten Krieg gegen die Hamas (aktuell denken noch immer 46% dass der Krieg so lange weiter gehen soll, bis Hamas vertrieben wurde).

Moshe Feiglin, der seit Jahren immer wieder für Kontroversen aufgrund seiner rassistischen Kapriolen sorgte (siehe auch "Israel: Ist der Friedensvertrag mit Jordanien in Gefahr?"), zeigte auch jetzt wieder wie völlig weltfremd diese Regierung agiert, als er die Behauptung aufstellte dass die "IDF Soldaten die einzigen Unschuldigen in Gaza sind".
Ganz ähnlich äusserte sich der israelische Botschafter in den Vereinigten Staaten von Amerika, Ron Dermer, vor der jährlichen Konferenz der christlich-zionistischen Organisation Christians United for Israel (CUFI):
"Israel verdient mehr als nur die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft. Israel verdient die Bewunderung der internationalen Gemeinschaft. Keine Armee in der Geschichte hat grössere Vorsicht als die IDF walten lassen, um Unschuldige der anderen Seite zu beschützen.

Wir senden unsere Soldaten in dieses Hornissennest von palästinensischem Terror, das mit Sprengfallen, Minen und Tunneln versehen ist. Manche beschuldigen Israel ohne Scham des Genozids, oder setzen uns auf die Anklagebank wegen Kriegsverbrechen. Die Wahrheit ist das man der Israel Defence Force den Friedensnobelpreis verleihen sollte! Einen Nobelpreis für den Kampf mit unvorstellbarer Zurückhaltung!"

Man mag es wirklich kaum glauben. Zwei Männer, beide Offizielle der israelischen Regierung, sprechen trotz über 700 Todesopfern im Gaza Streifen, davon mindestens 75% unschuldige Zivilisten, von Zurückhaltung oder sogar von einem Friedensnobelpreis für die begangenen Kriegsverbrechen. Das sprengt jegliche morale Vorstellungskraft.

Nicht so aber bei den Israelis die in der Nähe des Gaza Streifens leben, oder sogar eigens für diesen makaberen Treff aus anderen Landesteilen anreisen um sich an dem Leid der Palästinenser zu ergötzen.
Der britische Guardian berichtete davon, und sogar CNN in einer Live-Reportage. Allerdings wurde die Reporterin Diana Magnay umgehend von Gaza abgezogen und nach Moskau versetzt, weil sie es sich erlaubt hat in einer Live-Sendung die Wahrheit zu zeigen, als Israelis jubelnd den Raketenbeschuss von Gaza zelebrierten. Selbst der Tweet von Diana Magnay dazu wurde von ihrem Sender nur zwanzig Minuten nach der Veröffentlichung gelöscht. Aber wir haben alles, den Tweet und das Video hier:



Nicht anders erging es dem NBC-Reporter Ayman Mohyeldin, der die Schreckensmeldung der vier getöteten Kinder am Strand von Gaza in die Welt brachte. Das war für die zionistische Lobby und die Neokonservative Klique in den USA offensichtlich zuviel, die schon vor dieser Berichterstattung des Raketenangriffs auf die vier Kinder Ayman Mohyeldin als "Hamas Sprecher" denunzierten.
Wie auch Diana Magnay zuvor, musste nun auch Mohyeldin das Feld für jemanden räumen, der nicht die ganze Wahrheit zeigen wird sondern sich eher für das eindeutig israelische Narrativ einspannen lässt.

Und was hat es mit dieser "unvorstellbaren Zurückhaltung" der IDF zu tun? Als ich mit Reporten von westlichen Medien über dieses Thema sprach, insbesondere der deutschsprachigen Medien, präsentierten sie mir fast alle die gleiche Geschichte. Israel warne doch die Palästinenser in jenen Gebieten die sie angreifen will mit Flugblättern, automatisierten Anrufen und SMS.
Wenn so viele Menschen das gleiche erzählen, dann drängt sich einem der Verdacht auf dass das gezielte Informationen der IDF sind, die in klimatisierten Pressekonferenzen den anwesenden Journalisten vorgekaut werden. Dass aber oftmals zwischen solch einem automatisierten Anruf und dem Einschlag der Rakete nur 5 Minuten vergehen, dass es Menschen gibt die ihr Haus nicht innerhalb von 5 Minuten verlassen können weil sie krank oder sonstwie behindert sind, scheint keinen Einzug in die Berichterstattung dieser Reporter zu haben und somit auch nicht in die Zeitungen die Millionen Menschen in Deutschland oder der Schweiz lesen. Dann gibt es auch noch die andere Art von Warnung, von der man hierzulande überhaupt nichts hört, nämlich der Warnung per "Anklopfen auf dem Dach" mit einer Mörsergranate, die aber noch nicht detoniert. Erst eine knappe Minute nach dem "Anklopfen" auf dem Dach, trifft eine Rakete das "gewarnte" Gebäude und zerstört es. Eine Minute bleibt den Menschen in solch einem Gebäude, in welchem sehr oft bis zu 20 Menschen leben, dieses zu verlassen um ihr Leben zu retten.


Das in einem Krieg die "unvorstellbare Zurückhaltung" der IDF manchmal eben doch nicht so ausfällt wie es die Propagandisten wie der israelische Botschafter Ron Dermer gerne hätten, zeigte der heutige Angriff auf eine Schule der Vereinten Nationen in Gaza, wo ungefähr 800 Menschen Schutz vor israelischen Raketen und Bomben gesucht haben. Bei diesem Angriff kamen mindestens 15 Kinder ums Leben. Der ITV News Reporter Dan Rivers filmte die Folgen dieses Angriffs, welche sich nur diejenigen anschauen sollten, die über starke Nerven verfügen. Daher poste ich hier lediglich seinen Tweet, das Video ist hier zu sehen.


Das dieser Krieg nicht nur die schlimmsten Folgen eines Krieges hervorbringt wie Tote, Verwundete, Zerstörung oder Vertreibung - ganz zu schweigen von dem psychischem Leid für Hunderttausende Kinder - zeigt sich an den öffentlichen Auswüchsen der rassistischen Rabbis, die unter "normalen" Umständen (d.h. relativem Frieden für die israelische Bevölkerung) eher auf zum Teil heftige Kritik stossen.
Aber nicht jetzt. Zwar gibt es auch diesesmal Israelis die diesen predigenden Hass solcher Rabbis in aller Form verabscheuen, doch ihre Stimmen dürfen sie in der breiten Masse der Zustimmung nicht zu laut erheben um nicht zu riskieren, selbst das Opfer des Mobs zu werden.

Rabbi Dov Lior, der in der illegalen Siedlung von Kiryat Arba bei Hebron lebt und dort eine der berüchtigsten Yeshivas führt (jüdisch religiöse Schule, im Islam wäre es eine Medresse), sorgte bereits in den 1990er Jahren für Schlagzeilen. Allerdings war damals eine andere Zeit. Als Rabbi Dov Lior gegen Ministerpräsident Yitzak Rabin aufgrund seiner Palästinenserpolitik für din rodef erklärte, ein uraltes jüdisches Gesetz dass den Mord an einem anderen Juden erlaubt (was sonst strengstens verboten ist) wenn er dessen Leben oder Eigentum in irgendeiner Form gefährdet, nahm das zu diesem Zeitpunkt niemand wirklich ernsthaft zur Kenntnis. Allerdings muss gesagt werden, dass es nicht nur dieser Rabbi war der diesem uralten Gesetz Aktualität verlieh, sondern hunderte Rabbis aus den USA auch. Sollte sich jetzt noch jemand fragen was Yitzak Rabin denn überhaupt getan hat dass man ihn innerhalb des jüdischen Klerus als Todeskandidaten gebrandmarkt hat, ist die Antwort relativ einfach: sie betrachten das GANZE Land als Heiliges Land Israel, also auch jene Gebiete wo die Palästinenser noch leben und 1948 oder 1967 nicht vertrieben wurden, und Rabin durfte ihrer Interpretation nach keinen Millimeter dieses heiligen Landes aus der jüdischen Hand geben.
Und als dann der jüdische Fanatiker Dr. Baruch Goldstein den Massenmord in der Abrahamskirche von Hebron 1994 beging, ehrte ihn Rabbi Dov Lior als einen Märtyrer und baute sein Grab zu einer Pilgerstätte um.



Eben dieser Rabbi sorgt auch jetzt wieder für Schlagzeilen, indem er eine religiöse Anordnung (fatwa im Islam) ausgab in der es hiess, dass "in Zeiten des Krieges, hat die angegriffene Nation die Erlaubnis, die feindliche Bevölkerung mit allen Mitteln die es für angemessen hält zu bestrafen, wie zum Beispiel Lieferungen und Strom zu blockieren. Sie kann das ganze Gebiet nach dem Urteil des Kriegsministers bombardieren, und abschreckende Massnahmen zur Ausrottung des Feindes sind erlaubt. ... Der Verteidigungsminister kann selbst die Zerstörung von Gaza anordnen, so dass der Süden nicht mehr zu leiden hat und so den Schaden an Mitgliedern unserer Volkes verhindern".
Ein anderer Rabbi hingegen bezeichnete den Gaza Krieg als einen "Heiligen Krieg" der in der Torah vorgeschrieben ist und gnadenlos zu erfolgen hat.
Auch andere öffentliche Auswüchse wie der Aufruf zur Massenvergewaltigung der palästinensischen Frauen wurde von David Sheen festgehalten, alles ohne dass solche Informationen es jemals bis in unsere Medien geschafft hätten. Wie der Krieg selbst, ist auch das gewollt.

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