Freitag, 3. Oktober 2014

Türkei macht mit... Deutschland auch

"Türkei macht mit!", hörte ich heute Morgen zum wiederholten Male aus dem Radio. Gemeint ist die Entscheidung des türkischen Parlaments, der Regierung ein Mandat für Kampfeinsätze im Irak und Syrien zu erteilen.
Beinahe feierlich wurde dieses "Türkei macht mit!" verkündet, als ob es sich um einen wichtigen gesellschaftlichen Festakt handeln würde wo noch der letzte Star seine Zusage erteilt hat. Was wohl in dieser mir schleierhaften Euphorie über diese Entscheidung des türkischen Parlaments völlig untergegangen ist, ist die kritische Hinterfragung dieser Meldung. Es scheint sich offensichtlich niemand daran zu stören dass diese Entscheidung einer Mandatserteilung absolut illegal ist, sofern sie denn in die Tat umgesetzt werden würde. Ohne Mandatserteilung für einen Kriegseinsatz der Vereinten Nationen kann kein Parlament irgendwelche Mandate für einen Kriegseinsatz ihrer Streitkräfte in einem anderen souveränen Land erteilen. Einzige Ausnahme würde eine direkte Bedrohung für die eigene Souveränität darstellen, die von diesem anderen Staat ausgeht.

Doch Syrien unter der Regierung von Bashir al-Assad stellt keine Bedrohung für die Türkei dar, genausowenig wie das der Fall Ende 2012 war als die Türkei ganz plötzlich Patriot-Raketen der NATO zur Verteidigung einer syrischen Aggression anforderte.
Die ISIS kann auch nicht plötzlich zu einer glaubhaften Bedrohung geworden sein. Bis vor Kurzem verhandelte die türkische Regierung sogar noch mit der ISIS über die Freilassung der im irakischen Mosul gefangengenommenen Diplomaten. Präsident Erdogan sagte selbst dass es "diplomatische und politische Verhandlungen" mit der ISIS gab, die dann schliesslich zur Freilassung der Geiseln geführt haben. Diplomatische und politische Verhandlungen? Wie können diplomatische Verhandlungen zwischen einem Staat und einer selbst von der UN-deklarierten Terrororganisation geführt werden? Natürlich sieht sich ISIS nicht selbst als eine Terrororganisation, sondern als eben den ausgerufenen Islamischen Staat (IS). Wenn nun ein Staatspräsident wie Erdogan hingeht und sagt dass es "diplomatische und politische Verhandlungen" gab, dann kommt das einer stillschweigenden Anerkennung dieser Terrororganisation zu einer politischen Entität ziemlich nahe. "Es war ein diplomatischer Erfolg", doppelte Erdogan nochmal nach.

Und wieso auch nicht? Immerhin spielte die Türkei nebst den USA, Saudi Arabien und Qatar die wichtigste Rolle im Krieg gegen Bashir al-Assad (siehe auch "Türkei`s Rolle in Syrien"). Die wahhabitischen Extremisten in Syrien sind ebenso ein Kind der Türkei wie von Saudi Arabien und Qatar, nur das die Türkei sozusagen im Tagesgeschäft mit ihnen stand. Wie sonst könnte Jabhat al-Nusra direkt an der Grenze zur Türkei einen so langen Krieg gegen die syrische Armee führen wie in Aleppo, wo im Norden die kurdischen Kämpfer der YPG und im Osten und Süden die syrische Armee und Einheiten der Hezballah stehen? Da bleibt nur der Nachschubweg aus der Türkei übrig.
Es ist ja nicht so als ob die türkische Rolle ein Geheimnis gewesen wäre. Selbst die türkische Opposition beschuldigte die Regierung Erdogan der Kollaboration mit der ISIS und Jabhat al-Nusra, was für Erdogan ziemlich peinlich wurde als schliesslich Bilder aus einem staatlichen Krankenhaus in Hatay/Türkei auftauchten, die einen verletzten Kommandeur der ISIS zeigten.

                                        ISIS-Kommandeur Abu Muhammed im Krankenhaus in Hatay: 16.04.2014

Eine türkische Krankenschwester aus einer Privatklinik in Mersin beschwerte sich bei den Lokalbehörden und sogar vor dem Parlament, dass es "sie krank macht ISIL Militante zu versorgen". Auch eine der besten deutschen Nachrichtensendungen, MONITOR, dokumentierte bereits letztes Jahr die Rolle der Türkei im Zusammenhang mit den wahhabitischen Extremisten. Und was zu diesem Zeitpunkt offensichtlich niemandem in Deutschland grossartige Sorgen machte: die deutsche Rolle dabei. Indem Deutschland bewusst die Augen vor den "ausreisewilligen Jihadisten" verschloss und teilweise sogar aktiv unterstützt hat, trug die deutsche Bundesregierung indirekt auch genau dazu bei dass dieses Monster das man jetzt aus dem Weg räumen möchte, erst so stark werden konnte.

Auch wenn Erdogan sich jetzt vor seinem Parlament für eine Mandatserteilung für den "Krieg gegen Terror" der ISIS stark gemacht hat, es darf stark bezweifelt werden dass er es damit ernst meint. Erdogan forderte nicht nur ein Vorgehen gegen die ISIS, sondern gegen alle Terroristen und insbesondere auch gegen Assad. Dazu muss man wissen dass die Türkei schon seit längerem auch im Irak immer wieder Kampfeinsätze durchführt, aber nicht gegen die wahhabitischen Extremisten. Seine Ziele dort waren die Kurden.

Kann es also sein dass sein wahres Ziel nicht die ISIS ist, mit denen er ja erst vor ein paar Tagen noch einen "diplomatischen Erfolg" feierte, sondern die Kurden auf syrischem Gebiet? Denn mit seiner Rhetorik gegen Assad feuert er genau in die entgegengesetzte Richtung als das was die Vereinigten Staaten eigentlich vorhaben, was auch der türkischen Zeitung Todays Zaman aufgefallen ist.
Erdogan hat keine Angst vor den wahhabitischen Extremisten, aber wovor er Angst hat ist eine Entwicklung die ihm und dem türkischen Militär überhaupt nicht schmeckt: Kurdistan.

Mit Schrecken hat Ankara zur Kenntnis nehmen müssen wie die Kurden im Irak plötzlich militärisch ausgerüstet werden, was wie ich auch schon geschrieben habe weniger für einen Kampf gegen ISIS taugen wird, als zur Verteidigung des eigenen kurdischen Gebietes, welches de facto bereits heute ein eigenständiger Staat im Irak ist.
Die syrischen Kurden welche heute einen bemerkenswerten Kampf gegen die ISIS führen und in den letzten Tagen Unterstützung der türkischen Kurden der PKK (welche von der Türkei als Terrororganisation eingestuft ist) erhalten haben, könnten Morgen zusammen mit den türkischen Kurden ein Gross-Kurdistan fordern. Bereits jetzt ist die Grenze zwischen der Türkei und Syrien stellenweise erodiert, wo auf beiden Seiten der Grenze Kurden leben und nun zusammen eine Stellung gegen die ISIS bilden.

              Türkische und syrische Kurden reissen einen Grenzzaun bei Suruc nieder: Foto von Reuters 26.09.14

Könnte es also sein, dass Erdogan mit seiner anti-Assad Rhetorik einen Handel mit Washington zu erzielen versucht, indem er sich der Strategie der US-geführten "Koalition der Willigen" offiziell unterordnet und man dafür nicht genau hinschauen wird was die Türkei gegen die Kurden plant? Die Kurden selbst scheinen diese Gefahr auch als solche erkannt zu haben.
Für Deutschland als NATO-Partner der Türkei kann dieses türkische Roulette sehr gefährlich werden, zumal die NATO eine Chance wittert aktiv in das Kriegsgeschehen in Syrien einzusteigen.

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