Mittwoch, 8. Oktober 2014

Was ISIS so erfolgreich macht

Es sind genau solche Szenen die ISIS überhaupt erst so erfolgreich und manchmal sogar populär machen. Und das nicht nur in den Strassen von Saudi Arabien, Qatar oder Jordanien, sondern auch bei den sozialen Netzwerken die im Schutz der Anonymität ihre Bewunderung für ISIS kundtun können ohne die Befürchtung zu hegen, dass entweder die Staatsmacht oder der Geheimdienst plötzlich vor der Türe steht.

Als der britische Premierminister David Cameron auf die Hinrichtung von Alan Henning mit martialischer Kampfansage reagierte, müssen diejenigen die diese Hinrichtung geplant haben, vermutlich selbstzufrieden in die Runde ihrer Rekruten geblickt und Zustimmung geerntet haben. Cameron`s Reaktion war essentiell die gleiche wie Obama`s vor einem Monat, was ja von den Propagandisten der ISIS auch beabsichtigt war, bevor er dann dem Druck der Kriegstreiber nachgab und Luftschläge gegen die wahhabitischen Extremisten anordnete.

Natürlich hat Cameron damit recht wenn er sagt dass diese Hinrichtung von Alan Henning "absolut ungeheuerlich" ist. Auch der genutzte Terminus "barbarisch" trifft zu, insbesondere für die Hinterbliebenen von Henning die den Mord sozusagen live mitansehen mussten (sofern sie verständlicherweise überhaupt diese Kraft dazu gehabt haben). 

Aber ab diesem Punkt gehen die beiden Narrative dann auch schon auseinander. Während der britische Premier versucht die ISIS als ein Monster darzustellen welches sich auf den niedersten "Ebenen der Verderbtheit" bewegt, wird bewusst die eigene Geschichte und Verantwortung ausgeklammert, die nicht weniger verdorben und barbarisch als die der ISIS war und ist. Das gleiche gilt natürlich auch für die Vereinigten Staaten von Amerika.

Der Nährboden von ISIS
Was Cameron und Obama in ihren öffentlichen Auftritten nicht sagen, ist die Rolle ihrer eigenen Staaten die den Weg für die ISIS erst geebnet und zu ihrem schon fast kometenhaften Aufstieg gesorgt haben. Ein Blick in die jüngere Vergangenheit des Mittleren Ostens ist deshalb dringend notwendig, um den "Erfolg" der ISIS (und warum sie zu den professionell gestalteten Hinrichtungen greifen) im richtigen Kontext verstehen zu können.

Obwohl die USA ihre Fingerabdrücke im Mittleren Osten bereits unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges hinterlassen haben, welche mit der Rolle der USA die zur Gründung von Israel im Herzen der arabischen Welt führte unweigerlich verbunden war, und schon sehr früh eine erste Indikation ermöglichte wohin die amerikanische Reise führen wird, so rückte die aktive und offensive Rolle Washington`s erst nach der irakischen Besetzung von Kuwait im Jahr 1990 ins Zentrum der Aufmerksamkeit der Region. Die amerikanischen Machenschaften hinter der irakischen Invasion sollen hier nicht Gegenstand der Analyse sein.
Der Irak war zu diesem Zeitpunkt ein offenes, säkulares Land und die Irakerinnen und Iraker konnten zurecht stolz auf ihren im Vergleich mit anderen arabischen Ländern hohen Lebensstandard, sehr guter Ausbildung und für das ganze Volk frei zugänglichem Gesundheitssystem sein. An der Spitze des Landes stand aber ein Mann, Saddam Hussein, der ebenso wie die ISIS heute den rasanten Wandel vom einstigen Günstling zum Staatsfeind Nr. 1 vollzogen hatte, den es zu zerstören galt.

Der damalige US-Präsident George H.W. Bush, erklärte in einer Fernsehansprache an die Nation weshalb die US-Armee einschreitet:
"Vor weniger als einer Woche, in den frühen Morgenstunden des zweiten August (1990), fielen irakische Streitkräfte ohne Provokation oder Warnung im friedvollen Kuwait ein. ... Es geht um sehr viel. Irak ist bereits ein reiches und mächtiges Land das die zweitgrössten Ölreserven der Welt besitzt und über eine Million Männer bewaffnet hat. Unser Land (USA) importiert heute nahezu die Hälfte des Öls welches wir konsumieren und könnte einer gewaltigen Bedrohung für die wirtschaftliche Unabhängigkeit begegnen. Viele Länder der Welt sind noch abhängiger von importiertem Öl und sogar noch verwundbarer vor der irakischen Bedrohung. ... Wir beginnen eine neue Ära. Diese neue Ära kann vielversprechend sein, ein Zeitalter der Freiheit, eine Zeit des Friedens für alle Menschen. Aber wenn uns die Geschichte etwas lehrt, dann dass wir der Aggression widerstehen müssen oder sie zerstört unsere Freiheiten. Beschwichtigung funktioniert nicht. Wie das der Fall in den 1930er war, sehen wir in Saddam Hussein einen aggressiven Diktator der seine Nachbarn bedroht. ... Aber wir müssen anerkennen dass der Irak nicht damit aufhören könnte weiterhin Gewalt anzuwenden um seine Ambitionen durchzusetzen. Irak hat eine enorme Kriegsmaschinerie an der saudischen Grenze massiert, die mit wenig oder gar keinen Vorbereitungen mit Feindseligkeiten losschlagen könnte. Betrachtet man die Geschichte der Aggression der irakischen Regierung gegenüber ihrer eigenen Bevölkerung sowie gegenüber den Nachbarn, wäre es unklug und unrealistisch anzunehmen dass der Irak nicht wieder losschlägt. Und deshalb habe ich, nachdem ich König Fahd konsultiert habe, Verteidigungsminister Dick Cheney (nach Saudi Arabien) entsandt um kooperative Massnahmen zu diskutieren die wir unternehmen könnten. Nach diesen Gesprächen forderte die saudische Regierung unsere Hilfe an, und ich habe mit der Anordnung der Entsendung von US-Luft- und Bodentruppen in das Königreich Saudi Arabien auf diese Anforderung reagiert."
Diese Rede von George H.W. Bush strotzte nur so vor Zynismus, aber sie gab auch erste Anzeichen dafür wie die USA unmittelbar nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion die Welt betrachtete. Bush war sicherlich von den Worten überzeugt die ihm seine Redensschreiber vorbereitet haben, als er sagte dass "wir eine neue Ära beginnen". Auch der Rest der Welt wird diese Worte gutgeheissen haben, immerhin wurde gerade erst der Kalte Krieg beendet und man hoffte tatsächlich auf eine neue Ära des Friedens und Prosperität für alle Menschen. In dieser freudigen Erwartung einer neuen Ära war natürlich kein Platz mehr für einen Diktator, der weit entfernt ein kleines friedliches Scheichtum erobert und ganz nebenbei noch Ambitionen hegt, eine Bedrohung für die ganze Welt zu werden indem er die Ölfelder Saudi Arabiens gleich mitbesetzt und somit jene Länder in die Knie zwingt, die vom Import dieses schwarzen Goldes abhängig sind. Und indem der Präsident der aus dem Kalten Krieg siegreich hervorgegangenen Supermacht Vergleiche mit der Entwicklung Europas der 1930er Jahre anstellt, und ganz nebenbei die bereits begangenen Verbrechen dieses aggressiven Diktators aufgezählt hat, muss auch noch den letzten Pazifisten davon überzeugt haben dass nach dem Kalten Krieg ein heisser Krieg gegen diesen Diktator unausweichlich ist, um die Freiheit der neuen Ära zu verteidigen.

Dass es aber ausgerechnet diese Supermacht war die diesen Diktator jahrelang gefördert hat, ihn bei den schlimmsten Kriegsverbrechen im Krieg gegen den iranischen Nachbarn unterstützt und selbst bei der Vergasung seines eigenen Volkes weggeschaut hat, schien niemanden wirklich zu stören. Auch nicht die Absicht der Supermacht USA, die vitale Ölregion des Persischen Golfes mit eigener militärischer Präsenz für die Ölfelder der Region abzusichern. Das Problem aber war, dass die arabischen Petromonarchien des Persischen Golfs ganz und gar nicht der selben Meinung waren wie die Planer in Washington. Sie wussten wieso Saddam Hussein in Kuwait einmarschiert ist, weil auch sie ihn während des Irak-Iran Krieges mit Milliarden US-Dollars enthusiastisch unterstützt haben damit er sie vor der Bedrohung des "islamistischen Revolutionsfiebers" beschützt. Sie wussten dass diese Aggression nicht gegen sie gerichtet war, sondern ausschliesslich gegen Kuwait welches unmittelbar nach dem Ende des Irak-Iran Krieges einen eigenen Wirtschaftskrieg gegen den Irak begonnen hat. Und das hätte der Herrscherklan der Al-Sabah niemals ohne Sicherheitsgarantien einer Macht getan, die im Bedarfsfall auch tatsächlich diese Sicherheit liefern könnte. Das einzige Land auf der Erde die das hätte tun können waren die Vereinigten Staaten von Amerika.

Kuwait - oder der Al-Sabah Klan - war den USA gleichgültig. Es hätte genausogut ein militärischer Diktator an der Spitze in Kuwait stehen können, hätte es denn eine nennenswerte Armee gegeben, der die Interessen der USA durchsetzt. In Wirklichkeit ging es von Anfang an einzig und allein um den Irak, der nach dem Krieg gegen den Iran plötzlich als stärkste Macht in einer der wichtigsten Regionen der Welt da stand. Das bestätigte auch ein hochrangiger Regierungsbeamter der Bush I- Regierung gegenüber der New York Times am 9. August 1990, nur zwei Tage nach der Rede von George H.W. Bush:
"Die Bedrohung für die Vereinigten Staaten ist nicht unmittelbar. Die Iraker in Kuwait sind keine Bedrohung für die Interessen der Vereinigten Staaten. Die (wirkliche) Bedrohung ist, was aus ihnen (den Irakern) in den nächsten 10 bis 20 Jahren werden würde und was für eine Macht sie erreichen würden, dass sie im Grunde genommen das Öl übernehmen, die OPEC übernehmen, den Mittleren Osten dominieren, die Bedrohung für Israel. Und Saddam Hussein will eine Atombombe."
Selbst vor dieser Aussicht waren die anderen Petromonarchien nicht wirklich beängstigt. Insbesondere Saudi Arabien war der Überzeugung, dass man auch mit einem mächtigen Saddam Hussein umgehen könnte, so wie man das auch bis zur Invasion (und sogar noch währenddessen) ohne Weiteres getan hat. Also musste eine andere Bedrohung für die hartnäckigen Saudis her: die Invasion von Saudi Arabien!
In diesem Artikel der New York Times wird deutlich wie hart die Regierung von Bush, insbesondere Dick Cheney, daran gearbeitet hat um diese Bedrohung an die Saudis zu verkaufen:
"Von diesem Zeitpunkt an arbeiteten Mr. Bush und seine Helfer fieberhaft über das Wochenende um das möglich zu machen (US-Truppen für Saudi Arabien), den Widerstand von König Fahd und anderen arabischen Führern zu überkommen, dass sie die weitere Bedrohung von Mr. Hussein anerkennen und Hilfe von Aussen akzeptieren."
Diese Bedrohung wurde von Dick Cheney und General Norman Schwarzkopf am 6. August 1990 bei einem Treffen mit König Fahd und Prinz Bandar bin Sultan (Bandar Bush) in Riad besprochen, wo Cheney Satellitenbilder präsentierte die angeblich eine 200`000 Mann starke irakische Truppenpräsenz an der Grenze zu Saudi Arabien zeigte. Es war Prinz Bandar der König Fahd schon zuvor davon zu überzeugen versuchte, die Amerikaner ins Land zu holen und Saddam Hussein zu zerstören, weil dieser ihn offensichtlich angelogen hatte. Er war auch derjenige, der den letzten Versuch von Präsident Bush eine diplomatische Lösung mit Saddam Hussein zu finden sabotiert hatte, als er einen wohlformulierten Brief von Bush an Hussein an die Presse durchsickern liess um den irakischen Diktator öffentlich blosszustellen.
Das Problem an der ganzen Sache war, dass es Beweise von sowjetischen Satelliten gab die belegten, dass es in Kuwait zu keinem Zeitpunkt mehr als 100`000 Mann mit ein paar Panzern in Kuwait gab, wovon gut ein Fünftel am gleichen Tag zurück in den Irak beordert wurde, als Dick Cheney in Riad weilte weil es Aussicht auf Erfolg durch diplomatische Verhandlungen unterhalb der arabischen Staaten gab. Und das allergrösste Problem: es gab überhaupt keine irakischen Soldaten die sich an der Grenze zu Saudi Arabien befanden!

Alles andere ist Geschichte. Wir wissen dass König Fahd dem Drängen der Amerikaner nachgab und US-Truppen ins Land holte, und somit die Weichen auf Krieg stellte. Für die Wahhabiten Saudi Arabiens war das die grösste Demütigung überhaupt. Schon die Teilnahme von einer kleinen Zahl französischer Elitesoldaten die den Sturm auf die Grosse Moschee in Mekka 1979 leiteten, musste vom Herrscherhaus zuerst geleugnet und anschliessend verteidigt werden, da die Wut riesengross war dass "Ungläubige" das grösste Heiligtum des Islams betreten und "beschmutzt" haben. Wie gross war dann erst die Entrüstung über hunderttausende US-Soldaten auf "heiligem Boden"? Zwar waren die US-Soldaten relativ weit weg von den Städten in irgendwo in der Wüste stationiert, doch allein das Bewusstsein dass unter den Soldaten sogar Frauen und Juden waren, radikalisierte viele wahhabitische Anhänger schon sehr früh.

Es war diese Zeit in der Osama bin Laden den Zeitgeist der Wahhabiten aufnahm und ihn schliesslich ein paar Jahre später zuerst zu zwei Fatwas, dann zu seinem Manifest nach den Anschlägen von 9/11 veranlasste. Darin nimmt bin Laden Bezug auf Fakten, die nicht von der Hand zu weisen sind und dennoch bis zum heutigen Tag von den meisten westlichen Präsidenten oder Ministerpräsidenten ignoriert werden. Die besten Beispiele sind zuletzt natürlich Barack Obama oder David Cameron. Es braucht nicht viel Vorstellungsvermögen um zu verstehen, dass die völlige Ignoranz des Leides die der Westen, unter verschiedensten Konstellationen und Bezeichnungen, den Völkern des Mittleren Ostens zugefügt hat. Ein sehr gutes Beispiels lieferte die ehemalige UN-Botschafterin und Aussenministerin in der Regierung von Bill Clinton, Madeleine Albright, als sie 1996 gefragt wurde ob denn der Tod von 500`000 Kindern die amerikanische Politik rechtfertigen würde. Die Antwort von Albright: "Ich denke das ist eine harte Wahl, aber ich denke - wir denken - es ist es wert."

Es ist genau dieser Standpunkt den die Völker des Mittleren Ostens auf die harte Weise lernen mussten. Für sie galt die von George H.W. Bush verkündete neue Ära der Freiheit offensichtlich nicht. Egal welchen Krieg man auch zum Vergleich in der Region heranzieht, jedesmal wenn abertausende Araber ums Leben kamen spielte das eine eher untergeordnete Rolle in unserer Wahrnehmung. Aber sobald westliche Todesopfer oder auch israelische Todesopfer zu beklagen waren, dann war und ist auf gut deutsch "der Teufel los". Und genau das monierte Osama bin Laden in seinem Manifest. Zwar schoss er mit einigen Behauptungen übers Ziel hinaus und benutzte auch teilweise antisemitische Rhetorik, aber den Kern seiner Aussage kann niemand leugnen. Im Gegenteil, insbesondere amerikanische Politiker lieferten und liefern nach wie vor genügend Beispiele die seiner Behauptung recht gaben.

Und das ist einer der wichtigsten Rückschlüsse die man auch heute noch ziehen muss. Diejenigen die Osama bin Laden oder Al Qaida insgeheim gut hiessen, taten das nicht primär aus religiösen Gründen weil sie seine vom Wahhabismus geformte Weltsicht teilten, sondern aus den historischen Fakten die er nannte und der Tatsache, dass er es gewagt hatte den Kampf gegen diese Doppelmoral und Ungerechtigkeit des Westens aufzunehmen. Noch während das mächtigste Land der Welt Osama bin Laden wie einen Fuchs jagde, tötete es hunderttausende Menschen im Irak und Afghanistan und folterte, inhaftierte und deportierte unzählige Männer. In den Augen vieler Menschen war das in der Tat wie ein moderner Kreuzzug gegen sie.

                             US-Soldat in Fallujah mit einer Aufschrift die nach Rache sinnt auf seinem Helm

Eine gewisse Abneigung gegenüber dem Stil von Al Qaida kam erst auf, als der Jordanier Abu Musab al-Zarqawi brutale Terroranschläge im Irak ausführte, die einer ganz klaren sektiererischen Linie folgte. Das Ziel waren nicht nur die amerikanischen und britischen Besatzer, sondern insbesondere die schiitische Bevölkerung des Iraks.
Ähnlich wie mit dem heutigen "Kalifen" des ausgerufenen Islamischen Staats, tauchte Abu Musab al-Zarqawi scheinbar aus dem Nichts auf und schloss sich und sein Netzwerk nach der US-Invasion offiziell Al Qaida an. Der Terror den das Netzwerk von al-Zarqawi entfachte war fürchterlich und brutal, aber alles andere als wahl- oder planlos. Sein Ziel war es einen Bürgerkrieg zwischen Sunniten und Schiiten im Irak zu entfachen, was von den USA sogar noch weiter geschürt und somit direkt unterstützt wurde. Es war genau dieser Bürgerkrieg der erst die von den US-Militärs von Anfang an geforderte Truppenaufstockung (in den USA ging der Begriff "the surge" in die Geschichtsbücher ein) möglich machte und von Verteidigungsminister Donald Rumsfeld zuvor vehement abgelehnt wurde, welche dann zusammen mit moderaten sunnitischen Stämmen für ein fragiles Ende des Bürgerkrieges sorgten indem sie das Terrornetzwerk von al-Zarqawi isolierten.

Während wir in Europa am Anfang gegen die US-Invasion noch protestiert haben, verschloss sich mit der Zeit unser Blick in den Irak und wir wurden der täglichen Bilder von Tod und Zerstörung etwas überdrüssig. Was uns dabei entging war nicht nur die Rolle der USA im Irak die für hunderttausende Todesopfer direkt und indirekt verantwortlich war, sondern dass der Irak zu einem Magneten für ausländische Jihadisten wurde. Sie alle folgten dem Ruf ihrer wahhabitischen Mullah`s (ähnlich wie unsere Pfarrer oder Pastoren), den Irak von den "Ungläubigen" zu befreien. Während aber 13 Jahre zuvor ausschliesslich die amerikanischen Soldaten in Saudi Arabien damit gemeint waren, wurde nunmehr auch die schiitische Bevölkerung des Iraks (die Mehrheit im Irak) zum Ziel legitimiert. Und nicht nur sie, auch alle arabischen Despoten die mit den USA paktierten und ihre Bevölkerung unterdrückten sollten ausgeschaltet werden.
Doch für diese Pläne gab es keinen Rückhalt in der Bevölkerung der arabischen Staaten, nicht einmal in dem direkt betroffenen Irak.

Aber was jede Umfrage bewies, war die Tatsache dass sich die USA in der arabischen Strasse zu einem Feindbild entwickelt haben. Und das hat überhaupt gar nichts damit zu tun gehabt (und hat es auch heute nicht) dass die Menschen den amerikanischen "way of life" oder die westlichen Werte hassen würden wie das von einigen behauptet wurde. Es war die Politik der USA die verhasst war und der so viele Menschen zum Opfer fielen. Es waren die Bilder von Abu Ghraib und Guantanamo die die arabische Welt gegen die USA aufbrachte. Und es waren die tausenden von Familien die entweder ein Familienmitglied verloren haben, oder einen ihrer Liebsten irgendwo in irgendeinem US-Gefängnis ausser Landes wissen, oder mit der ständigen Angst leben müssen dass sie durch einen Anschlag getötet oder ihre Kinder entführt werden. Das war das wirkliche "shock and awe" (das Konzept von Schock und Ehrfurcht aus dem Pentagon) das durch die Amerikaner verursacht und ausgelöst wurde, nicht das erdbebenartige Bombardement der US Air Force.

Hezballah wird zum arabischen Vorbild
Es war in dieser kataklystischen Zeit des Bürgerkriegs im Irak als ein anderes arabisches Land nach dem Konzept von "shock and awe" angegriffen wurde: der Libanon.

Es war nicht der erste Krieg den Israel gegen einen arabischen Nachbarn im Sommer 2006 entfachte (Ägypten 1956; Ägypten, Syrien und Jordanien 1967; Libanon 1982-2000). Aber es war der erste Krieg in dem der arabische Gegner - und das nicht einmal die staatliche Armee sondern ein nicht-staatlicher Akteur - nicht besiegt werden konnte und Israel kein einziges, sich vor dem Krieg gesetztes Ziel umsetzen konnte. Natürlich kannte Israel den Gegner, immerhin war er mitverantwortlich dafür dass Israel die 18-jährige Besatzung des Süd-Libanons im Jahr 2000 aufgeben musste. Die Rede ist von Hezballah, der schiitischen "Partei Gottes".


Das Hezballah diesen taktischen Sieg gegen die militärische Supermacht in der Region davontragen konnte, und das trotz der politischen wie auch militärischen Unterstützung die Israel während den Kampfhandlungen aus den USA erhalten hat, führte zu einer unglaublichen Bewunderung weit über den Mittleren Osten hinaus für die "Partei Gottes".
Das einzige was die Euphorie schon nach kurzer Zeit abkühlte war die Tatsache, dass es sich um Schiiten handelte die den spätestens seit 1967 (Verlust von grossen Landesteilen im Junikrieg an Israel) vorherrschenden Fatalismus in der arabischen Welt gebrochen haben.

Nichtsdestotrotz diente dieser aus arabischer Sicht historische Sieg gegen Israel als Modell wie man es gegen eine militärische Übermacht aufnehmen und bestehen kann. Fast noch wichtiger als die militärische Rolle dabei war der soziale Aspekt der diesen "Erfolg" erst ermöglicht hat. Ohne Unterstützung der Lokalbevölkerung hätte es Hezballah niemals geschafft zu dieser Stärke heranzuwachsen. Sie sind es auch die die Hauptlast (er)tragen müssen wenn es zu Kampfhandlungen kam und kommen wird, denn die israelische "Dahiya-Doktrin" (nach dem komplett zerstörten Stadtteil von Beirut durch Israel 2006) sieht eine überproportionale Bombardierung von zivilen Zielen vor, die gemäss dem israelischen Maj.Gen. Gadi Eisenkot von der Regierung gebilligt wurde um ein "erneutes Fiasko" wie 2006 zu vermeiden.

Diese Dahiya-Doktrin wurde zuletzt auch im Gaza Streifen angewendet.

Was wir heute bei ISIS sehen und auch bei der Hamas im Sommer 2014 gesehen haben, ist die Adaption der von Hezballah entwickelten Taktiken um in einem asymmetrischen Krieg zu bestehen. Während aber Hezballah und Hamas beides indigene Organisationen sind, die als Widerstandsgruppen gegen die israelische Besatzung und Unterdrückung entstanden sind und sich im Laufe der Jahre zu politischen Parteien entwickelt haben, mit dem Ziel sich der Besatzung zu entledigen (was im Libanon geglückt ist), führt ISIS etwas ganz anderes im Schilde.

ISIS ist keine einheimische, sondern eine pan-wahhabitische Organisation die es sich zum Ziel gesetzt hat die politische Karte des Mittleren Ostens komplett neu umzuschreiben, und sich nicht wie Hezballah oder Hamas innerhalb dieser modernen Grenzen zu bewegen.
Der Anführer der ISIS, Abu Bakr al-Baghdadi oder "Kalif Ibrahim" wie er sich heute nennt, kam ebenso scheinbar aus dem Nichts wie zuvor schon sein Vorgänger Abu Musab al-Zarqawi. Doch wie schon im Fall al-Zarqawi, ist das nur die halbe Wahrheit. Während al-Zarqawi von der CIA in Afghanistan in den 1980er Jahren rekrutiert wurde und sogar in der grossen Lüge des Colin Powell vor dem Irak Krieg auftauchte (gemeint ist die Rede vor dem UN-Sicherheitsrat), scheint auch der Kalif der ISIS ein Produkt der Geheimdienste zu sein. Gemäss dem Whistleblower Edward Snowden soll ISIS von den Geheimdiensten der USA und Israel ins Leben gerufen worden sein, um ein "Hornissen Nest" für alle Extremisten der Welt an einem Platz zu bilden.

Während ISIS eine pan-wahhabitische Organisation ist, ist al-Baghdadi aber ein Mann der die US-Invasion und Besatzung - und des ganzen damit verbundenen Schreckens - selbst miterlebt und vielleicht sogar al-Zarqawi gekannt hat. Auch wenn es stimmen sollte dass er eine Kreation der CIA und des Mossad ist, seine Anhänger und der fortlaufende Strom an weltweiten Rekruten sind es nicht. Sie alle vereint aber nicht nur die wahhabitische Ideologie, sondern die Erfahrung der letzten 24 Jahre die eigentlich eine neue Ära der Freiheit hätte einläuten sollen, auch wenn sie vielleicht 1990 noch nicht einmal auf der Welt waren.
Auch die normalen Menschen im Irak und Syrien, jenen Gebieten wo sich heute der Islamische Staat gebildet hat, teilen diese Erfahrung auch wenn sie nicht die brutalen Methoden der ISIS gutheissen. Sie wurden vom Westen angegriffen (direkt oder durch Stellvertreter), verraten und schliesslich im Stich gelassen. Millionen von Sunniten im Irak, die unter Saddam Hussein Privilegien genossen und diese nach der US-Invasion verloren haben und zusehen mussten wie ihre Zukunftsperspektiven vernichtet wurden, sahen und sehen in ISIS eine Möglichkeit, in diesem Islamischen Staat wieder ihre gewohnte Stellung zu erreichen. Die Scharia, welche bei uns im Westen schon fast verteufelt wurde, ist für diese Menschen aber ein Gesetzeswerk, welches für Stabilität und Ordnung sorgt und somit der bestehenden Instabilität und Unordnung der vom Westen durchgesetzten "Demokratie" vorzuziehen ist. Junge Sunniten die arbeitslos sind, keine Perspektive haben und Hunger leiden, werden von ISIS wie ein Magnet angezogen.

Millionen von Arabern wurden in den letzten Jahrzehnten vom Westen enttäuscht. Hunderttausende mussten durch die vom Westen und Israel entfachten Kriege ihr Leben lassen. Hunger und im Falle des Iraks auch Perspektivlosigkeit bringen die Sunniten gegen ihre politische Führung auf und treiben sie in die Hände der ISIS. Der sogenannte Arabische Frühling entledigte sich zwar schnell zweier langjähriger Diktatoren in Tunesien und Ägypten, doch in Ägypten wurde jetzt im Nachhinein nur der eine Diktator mit dem anderen ausgetauscht. Hezballah hat gezeigt wie man eine Aggression von Aussen bezwingen kann, was bei der ISIS sehr wohl in ihrer Planung mitberücksichtigt wird. Was ISIS ebenfalls gelernt hat, ist die Wirkung von "shock and awe" auf das Zielpublikum. Ihre Hinrichtungen von westlichen Geiseln die mit den Symbolen der amerikanischen Ungerechtigkeit versehen werden (der gleiche Häftlingsanzug wie in Guantanomo), erreichen genau das was gewünscht wird: "shock and awe" in der amerikanischen und britischen Bevölkerung. 

Sie wissen dass die Regierungen in Washington und London auf diese Morde genauso reagieren werden wie sie es eben getan haben, was den Menschen im Mittleren Osten als Beweis dient, dass ein einziges westliches Menschenleben mehr wert ist als hunderttausende eigene Menschenleben.
Das alles macht den "Erfolg" der ISIS aus, welcher sich nicht durch militärisches Eingreifen der USA und der "Koalition der Willigen" wegbomben lassen wird.

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